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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Sterbebett hat sie ihm die Wahrheit gesagt. An unserer Liebe hat das nichts geändert. Glücklicherweise haben wir uns bald wiedergefunden und uns über alles ausgesprochen.«
    Bewegt hielt sie inne. Die Erinnerungen an die schrecklichen Monate, in denen sie Eric und Carlotta für immer verloren zu haben glaubte, bereiteten ihr auch zehn Jahre danach noch unermessliche Pein. Gleichzeitig schöpfte sie aus den Gedanken an jene Zeit neue Kraft. Seinerzeit hatten sich die schlimmen Befürchtungen nicht bewahrheitet, alles war zu einem guten Ende gekommen. So würde es auch jetzt wieder enden. Noch einmal umfasste sie den Bernstein und spürte der Kraft nach, die endlich wieder von dem honiggelben Stein ausstrahlte. Sie musste nur fest daran glauben, sich der alten Zuversicht von neuem versichern.
    Ein Rütteln brachte den Wagen zum Schwanken und weckte Carlotta. Verblüfft hob sie den Kopf und sah sich verwirrt um. Magdalena tastete nach ihrer Hand und drückte sie. Dankbar strahlte die Dreizehnjährige sie an.
    »Ho, ho!«, rief Gustav in die Stille hinein. Ein Grünfink ärgerte das Ochsengespann. Keck flatterte der Vogel immerzu zwischen den schweren Schädeln der Zugtiere umher. Die Ochsen schüttelten sich, schnaubten auf und ließen sich in ihrem gemächlichen Schritt stören. Auf einmal trabten sie los, wurden zusehends schneller. Der Wagen schwankte und wackelte in den tiefen Fahrspuren. Es ging einen kurzen Abhang hinunter. Schon quietschten die Räder, die Achsen knarrten. Mit beiden Händen mussten sich die Frauen an den Bänken festkrallen. Mehrmals knallte Gustav die Peitsche, spie gar den Haselnusszweig zur Seite aus und schimpfte, bis sich die Tiere beruhigten. In der ebenen Wiese liefen sie aus und verfielen wieder in eine gemächlichere Gangart.
    Ruhig ging die Fahrt weiter. Die blühenden Weißdornsträucher wurden von Forsythien abgelöst, es folgten die ersten Obstbäume. Knospen sprossen an den kargen Zweigen. Eine Reihe Birken säumte einen schmalen Bachlauf. Immer lauter zwitscherten die Vögel, immer öfter surrten Insekten durch die Luft. Eine dicke Hummel verirrte sich gar unter die Wagenplane. Die Luft wurde stickig. Unermüdlich brannte die Sonne auf das Leinen. Schwitzend pustete Magdalena sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
    »Noch eine halbe Stunde, dann machen wir Rast«, wandte Gustav unvermittelt den breiten Schädel zu ihnen um. Er wartete nicht auf ihre Reaktion, sondern schaute schnell wieder nach vorn. Die Frauen lächelten einander erleichtert an. Carlotta schloss wieder die Augen. Ihr Kopf kippte abermals auf Magdalenas Schulter und sie schlief friedlich weiter. Magdalena neigte ebenfalls den roten Lockenkopf zur Seite und bettete ihn sanft auf Carlottas Haupt. Schon spürte auch sie, wie ihr die Lider über dem steten Ruckeln des Wagens schwer wurden und zufielen. Aus weiter Ferne nahm sie die Reisegeräusche wahr: das Knarren der Räder, das Schnauben der Ochsen und das gelegentliche Peitschenknallen Gustavs. Bald stiegen Bilder aus vergangenen Zeiten in ihr auf. Sie hörte Meister Johanns dröhnenden Bass, dazwischen das heisere Krächzen der alten Roswitha und die belustigte Stimme von Rupprecht, dem zweiten Wundarztgehilfen. Die Toten riefen nach ihr. Meister Johann mahnte sie mit erhobenem Zeigefinger, die Rezeptur der Wundersalbe nicht zu vergessen. Große Sorgen quälten ihn, dass Apotheker Petersen sie nicht zu schätzen wusste: »Nie hättest du ihm den Tiegel lassen dürfen!« Hebamme Roswitha dagegen ermutigte sie, Carlotta ihren eigenen Weg gehen zu lassen. Und Rupprecht, der geduldige Gefährte, zeitlebens erfüllt von Eifersucht auf Eric, lachte schallend, weil sie abermals auf Erics tiefgründige blaue Augen hereingefallen war. Ihre schöne, blonde Base Elsbeth hakte sich bei ihm unter und stimmte in das Lachen ein.

2
    Lange hallte das hämische Lachen in Magdalenas Ohren nach, bis sie auffuhr und merkte, dass es sich um das wilde Kläffen eines Hundes handelte. Aufgeregt sprang der räudige Vierbeiner zwischen den Beinen der Zugochsen herum. »Scher dich zum Teufel, elendes Vieh!«, schimpfte Gustav und knallte mit der Peitsche. Die Ochsen schnaubten. »Wo kommt der verdammte Köter her?« Mit aller Kraft stemmte Gustav die Füße gegen das vordere Brett und hob den Hintern vom Kutschbock, um die Zügel kraftvoller ziehen zu können. Erschrocken spähte ihm Magdalena über die Schulter. Vor ihnen ging es steil bergab!
    »Halt endlich an!«, schrie Adelaide.

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