Hexengold
Stadtmauern Unterschlupf finden.« Sie strich sich den schwarzen Rock glatt und prüfte mit kritischem Blick den Zustand ihrer Schuhspitzen. Die Rast auf dem trockenen Wiesengrund hatte auch bei ihr Spuren hinterlassen. Geschickt rieb Adelaide das Leder gegen ihre Beine. Insgeheim staunte Magdalena, dass der Rocksaum danach noch genauso tadellos aussah wie vorher. »Ich brauche dringend ein Bad. Die Unbill der Reise setzt mir mehr und mehr zu.« Theatralisch legte Adelaide die Hand auf die Stirn. »Außerdem will ich wenigstens meine Hemden waschen lassen. Am Montag möchte ich etwas Frisches auf dem Leib tragen. Ich kann das alles nicht mehr riechen.« Sie rupfte am Ausschnitt des Kleides, um zu unterstreichen, wie sehr sie der wochenlang getragenen Sachen überdrüssig war.
Adelaides Gebaren brachte Magdalena zum Schmunzeln. Ihre Finger spielten mit dem Bernstein, als sie sich zurücklehnte. »Da hast du heute wirklich Glück. Wäschewaschen ist so ziemlich die einzige Beschäftigung, die für den Samstag ausdrücklich empfohlen wird. Als letzter Tag vor dem Sonntag kommt ihm sonst eine eher unglückliche Einschätzung zu. Dir darf ich diese Weisheiten wohl anvertrauen. Du wirst die Letzte sein, die mir diesbezüglich Schwierigkeiten bereitet und mich an den Pranger stellt, nicht wahr?«
Einen Moment lang schien sich Adelaide über die Bemerkung zu ärgern. Dann aber lächelte sie ebenfalls: »Auf mich kannst du dich immer verlassen, meine Liebe. Weder bin ich unseren Wachleuten gegenüber knauserig, noch verrate ich deine klugen Sprüche an zwielichtige Gestalten. Schließlich wollen wir beide gemeinsam unser Ziel erreichen.«
»Gut, dass du das sagst.« Eindringlich sah Magdalena der Base ins Gesicht. »Es wäre äußerst schade, wenn eine von uns das je vergessen würde. Nur gemeinsam werden wir dorthin gelangen und finden, was wir brauchen: eine Zukunft für uns und unsere beiden Kinder!«
3
Entgegen Meinertshagens Befürchtungen erreichten sie Erfurt lange vor Anbruch der Finsternis. Es blieb sogar ausreichend Zeit, einen kleinen Rundgang durch die Stadt zu machen. Etwas verloren schlenderte Carlotta über den ausladenden Domplatz. Das Licht der untergehenden Aprilsonne tauchte die schmalen Bürgerhäuser in ein faszinierendes Rot. Für einen Moment blitzten die oberen Fensterreihen golden auf, dann versank der glühende Ball der Abendsonne endgültig hinter der Silhouette der Kirchtürme.
Trotz der vorgerückten Stunde herrschte noch reger Betrieb auf den Plätzen der Stadt. Die Vorbereitungen für die bevorstehende Osternacht hielten die Menschen rund um den Erfurter Dom und die markante Severikirche in Atem.
Carlotta beschloss, dem Trubel auf dem Platz zu entfliehen, und schlug den Weg über die breite Marktstraße ein. Hoch bepackte Karren wurden umhergeschoben. Aus den darauf stehenden Körben duftete es verführerisch nach frischem Brot und süßen Wecken. Als einer der Karren an einer Hausecke anhielt und der Bäckerbursche ein Gespräch mit einem zweiten Gesellen begann, war die Versuchung groß, die Hand auszustrecken und einen der köstlichen Hefefladen zu stibitzen.
»Du wirst doch wohl nicht stehlen wollen!« Eine vertraute Stimme ließ sie zurückzucken. Sie senkte den Blick und biss sich vor Scham auf die Lippen.
»Nimm wenigstens zwei«, raunte ihr Mathias ins Ohr und schob sie gegen den Karren. »Mach schon, solange der Kerl nichts merkt!« Er verstärkte den Druck gegen ihren Leib, fast wollte sie aufschreien vor Schmerz, als sich das Holz des Karrens in ihre Rippen bohrte. Ihr blieb keine Wahl, als die Hand auszustrecken und nach den Fladen zu greifen. Warm lag das Gebäck in ihren Händen.
»He, du! Lass die Finger davon!« Im falschen Moment hatte der Bäckerjunge seinen Schwatz beendet und sich dem Karren zugewandt. Zornig blies er die Backen auf.
Der Moment des Erschreckens währte nicht lang. Carlotta besann sich rasch und rannte los. Die noch warmen Fladen in den Händen haltend lief sie quer über den Fischmarkt, am Rathaus vorbei und hinüber zur Krämerbrücke. In dem dichten Gedränge der Menschen hoffte sie untertauchen zu können. Ob der Bäckergehilfe ihr auf den Fersen war, wusste sie nicht. Sie wagte nicht, den Blick zu wenden. Dafür wusste sie Mathias dicht hinter sich. Seine dünne Gestalt ragte wie ein drohender Schatten auf. »Lauf zu!«, rief er und trieb sie wie einen Hund vor sich her. Das Straßenpflaster war glatt. Einmal geriet sie ins Schlingern. Mathias
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