Hexengold
Platz für den Aufbruch zu ergattern. Fuhrwerk an Fuhrwerk reihte sich aneinander, nervös tänzelten die Reitpferde auf der Stelle. Trotz der frühen Stunde schien an diesem Montagmorgen bereits halb Leipzig auf den Beinen. Auch in der Dämmerung war die opulente Pracht der Kaufmannszüge deutlich zu erkennen. Auf den ersten Blick stieß Magdalena auf, wie prahlerisch der Anblick der hoch beladenen Wagen und der verschwenderisch gekleideten Reiter auf ärmere Menschen wirken musste. Das maßlose Protzen schien geradezu dazu einzuladen, die Kaufleute auszurauben.
Auch Eric und seine Gefährten hatten es bei ihrem Aufbruch aus Frankfurt vor gut einem Monat nicht an Pracht fehlen lassen. Wie unvorsichtig ein solches Verhalten war, hätte Eric nach den schrecklichen Erlebnissen im letzten Herbst wissen müssen. Verschämt wischte sie die Tränen aus den Augenwinkeln.
Allmählich bezwang die aufgehende Sonne die letzten Spuren der Nacht. Burschen und Mädchen zogen mit Körben voller frischer Semmeln, süßer Wecken und körniger Brote an den Wagen entlang. Bauersleute trugen Reste eingelagerten Obsts in Huckelkiezen vorbei. Ein Metzger reichte geräucherte Würste an einer Stange und versuchte ein Weib mit ihrem trockenen Fischwerk auszustechen, das gerade mit einem Fuhrmann ins Geschäft gekommen war.
»Mir scheint, dass sich die Wächter vorn am Tor absichtlich so viel Zeit lassen«, sagte Magdalena zu Ehringer, der sie zu diesem ungewöhnlichen Frühstück in seine Unterkunft eingeladen hatte. Um den Anstand zu wahren, hatte er außerdem Carlotta und Adelaide sowie natürlich seine Frankfurter Kaufmannsgenossen Grafrath, Knoll, Meinertshagen und Wolff dazugebeten. Anders als Carlotta und Magdalena, die sich seit Sonnenaufgang die Nasen an den Fensterscheiben plattdrückten, saßen die anderen Gäste an der langen Tafel und genossen den gewürzten Käse, den saftigen Schinken sowie die verschiedenartigen Marmeladen und Kuchen, die Ehringer ihnen zu Ehren hatte auftischen lassen. Eine Magd trug einen Krug mit einem dampfenden Getränk herein. Magdalena schloss die Augen. Kaffee! Der bittere Geruch verursachte ihr Übelkeit.
»Ihr habt mal wieder an alles gedacht, mein guter Ehringer!« Begeistert erhob sich der einäugige Knoll und nahm der überraschten Magd den Krug aus den Händen. »Welch Duft, welch Labsal! Das weckt die Lebensgeister zu dieser unchristlichen Stunde.« Übertrieben wedelte er mit der Hand den Kaffeedampf in seine Nase.
»Macht schon, Knoll«, meldete sich der sonst so wortkarge Grafrath zu Wort. »Je länger Ihr Euch ziert, uns von dem herrlichen Gebräu zu kredenzen, desto ungenießbarer wird das bittere Zeug. Hier, mein Becher. Gießt ordentlich ein, mein Freund. Ihr wollt doch nicht Gefahr laufen, dass ich nachher völlig ermüdet aus dem Sattel kippe.«
»Mir auch, mir auch!« Der dürre Meinertshagen sprang so ungestüm von seinem Platz auf, dass er das Tischtuch halb herunterriss. Gerade noch konnte Wolff das Umkippen des Weinkrugs verhindern. Magdalena schmunzelte in sich hinein. Ab morgen schon würde sie die Gesellschaft der fünf vermissen. Wahrscheinlich trennten sich ihre Wege für immer. Wehmut erfasste sie, gepaart mit der bitteren Erkenntnis, auch Frankfurt sowie das Haus an der Fahrgasse nie mehr im Leben wiederzusehen. Wie seltsam, dass sie so plötzlich Heimweh überkam! Nie hatte sie sich in der Stadt am Main in dem Anwesen des verstorbenen Oheims heimisch gefühlt. Das dortige Leben hatte sie eher als Zwang empfunden, ein Dasein, zu dem sie sich nicht aus freien Stücken entschlossen hatte. Trotzdem setzte der Verlust ihr nun so stark zu. Um wie vieles leichter war es in früheren Zeiten gewesen, als sie noch frei und unabhängig mit dem Tross durchs Land gezogen war. Jede Etappe, die sie erreichten, war für eine Weile ein Zuhause geworden und nach dem Weggang ohne großes Bedauern rasch wieder vergessen.
»Ein Königreich für Eure Gedanken, verehrte Frau Grohnert.« Leise war Ehringer neben sie getreten.
»Das wäre ein sehr schlechter Tausch für Euch.« Auch wenn er den Becher mit dem bitter riechenden Kaffee viel zu nah vor ihr Gesicht hielt, schenkte sie ihm ein herzliches Lächeln. »Gerade Ihr als Kaufmann solltet wissen, welche Geschäfte sich lohnen und welche nicht.«
»Manchmal erweist sich ein zunächst wenig einträglich scheinender Handel als wahre Goldgrube. So verhält es sich möglicherweise auch mit Euren Gedanken, Verehrteste. Die kurze Zeit, die
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