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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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genoss sie es, die Augen des grauhaarigen Mannes auf sich gerichtet zu wissen. Lässig schenkte sie ihm ein zweideutiges Lächeln. »Wir werden Eric nicht treffen. Dazu sind die Herren viel zu schnell unterwegs. Das ist es doch, was Ihr sagen wollt, mein lieber Ehringer, nicht wahr?«
    Magdalena warf der Base einen ungeduldigen Blick zu, bevor sie sich mit einem Lächeln auf den Lippen wieder Ehringer zuwandte.
    »Nun.« Ehringer wippte zwei-, dreimal auf den Fußspitzen vor und zurück, zauderte noch immer, seinen Gedanken zu Ende zu führen. Abermals hatte Adelaide ihr Ziel erreicht und ihn aus dem Konzept gebracht. »Verzeiht, Verehrteste, ich habe mich wohl etwas ablenken lassen«, entschuldigte er sich bei Magdalena. »Eure Base hat leider recht. Es ist aussichtslos, den Vorsprung Eures Gatten und seiner Männer wettzumachen. Ein einzelner Frachtwagen mit einem erfahrenen Kutscher fällt kaum ins Gewicht. Es sei denn, die Herren legen unterwegs eine längere Pause ein. Hier in Leipzig auf der Messe aber wird das nicht gewesen sein. Davon hätten wir gehört.«
    Bedauernd senkte er den Blick und betrachtete angestrengt seine Stiefelspitzen. Auch am Leder seines Schuhwerks war zu erkennen, dass die besten Zeiten seiner Weinhändlertätigkeit hinter ihm lagen. Sachte legte er Magdalena die Hand auf die Schulter und sagte leise: »Nun, vielleicht gibt es eine winzige Hoffnung. Gestern Abend teilte mir jemand mit, Euer Gatte habe Wurzeln in Magdeburg. Bei der Magdeburger Hochzeit vor fast dreißig Jahren habe er Vater und Mutter sowie seinen gesamten Besitz verloren. Denkbar, dass er den kleinen Umweg auf sich nimmt und von Erfurt aus in seine alte Vaterstadt an die Elbe gereist ist. Ein stilles Gedenken am letzten Zuhause seiner Familie, die er bei den furchtbaren Ereignissen verloren hat – dieses Verlangen wird jeder von uns nachvollziehen können.«
    »Ja, nur zu gut«, stimmte Magdalena zu und umklammerte den Bernstein. Wild loderten die Erinnerungen in ihr auf, die unerträgliche Hitze, das knisternde Feuer, die verzweifelten Schreie der Menschen. Zwölf Jahre hatte Eric damals gezählt, als er sie aus dem Flammenmeer rettete und in den kaiserlichen Tross brachte, zurück zu den Menschen, die ihm gerade alles genommen hatten, was ihm auf Erden lieb und teuer war: die Eltern und das Zuhause. Magdalenas Augen wurden feucht. Hastig wischte sie darüber. »Ich war damals auch in Magdeburg. Mein Gemahl und ich haben uns dort kennengelernt.«
    »Oh«, entschlüpfte es Ehringer. »Das wusste ich nicht.« Seine blauen Augen blickten traurig, ziellos strichen seine Finger durch den Bart. »Nun, eigentlich hatte ich Euch nur darauf hinweisen wollen, dass der Vorsprung Eures Gemahls dank eines solchen Umwegs erheblich schrumpfen kann. Aber trotzdem solltet Ihr nicht zu sehr darauf hoffen, ihn noch einzuholen. Es gibt mehrere Routen nach Königsberg. Ihr wisst nicht, für welche er sich entschieden hat. Dank Helmbrechts Verbindungen wird Euch der Krieg in Polen auf Eurer Strecke nicht wesentlich aufhalten. Noch gut vier Wochen werdet Ihr brauchen. In Königsberg aber werdet Ihr Euren Gemahl sicher rasch finden. Helmbrecht kennt sich in der Stadt hervorragend aus. Ihm könnt Ihr voll und ganz vertrauen, ich verbürge mich für ihn.« Theatralisch legte er sich die rechte Hand aufs Herz und verneigte sich.
    »Danke.« Magdalena blickte ihm lange ins Gesicht. Zum ersten Mal entdeckte sie auf seinen Wangen mehrere braune Flecken, Zeichen einer Hautreizung oder gar des Alters. Tiefe Zuneigung erfasste sie. Als sie das unruhige Flackern in seinen Augen bemerkte, nickte sie ihm aufmunternd zu: »Euch beunruhigt noch etwas, nicht wahr?«
    »Könnt Ihr Gedanken lesen, meine Liebe?« Tief atmete er durch, bevor er weitschweifig begann: »Nun, wie Ihr wisst, ist bereits Ende April.«
    »Ja, in der Tat.« Magdalenas Lächeln wurde breiter. Seine Umständlichkeit fand sie sympathisch. Wieder legte er eine bedeutungsvolle Pause ein, als sei damit alles gesagt. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster. Längst war die Sonne aufgegangen und tauchte die Straßen und Häuser in verschwenderische Helligkeit. Die Tore waren geöffnet, die Fuhrwerke der Messebesucher in Bewegung. Reiter und Fußgänger nutzten die Lücken zwischen den Wagen, um schneller zum Grimmaischen Tor zu gelangen. Auf die Ausrufer mit ihren für die Reise nützlichen Waren achtete kaum jemand mehr. Alle waren damit beschäftigt, so schnell wie möglich aus der Stadt

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