Hexengold
Unverhohlen strafte sie Helmbrecht mit Missachtung. Sie mochte ihn nicht. Mehrfach schon hatte sich Magdalena gefragt, warum Pohlmann überhaupt mit Helmbrecht zusammen reiste. Die beiden passten einfach nicht zueinander. Trotz aller Gegensätzlichkeit aber schienen sie seit Jahren nicht nur Geschäftsfreunde, sondern auch treue Reisegefährten. Magdalena wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Vorsichtig zupfte sie die schweißnassen Locken mit den Fingern auseinander und fächelte sich mit der anderen Hand Luft zu.
»Nein, nein, das ist schon die richtige Kreuzung und das Gasthaus, das ich im Sinn hatte.« Helmbrecht lupfte seinen breitkrempigen Hut, ordnete das dunkle Haar und verscheuchte eine Fliege. Seine Miene verriet Ratlosigkeit. »Eigenartig. Im letzten Sommer noch bin ich hier eingekehrt. Gar fröhlich ging es hier zu. Abends in der Stube fand sich eine große Zahl Gäste zum Kartenspiel zusammen. Der Wirt spielte uns auf, die Wirtin schenkte kräftigen Wein aus. Kaum zu glauben, innerhalb so kurzer Zeit alles aufgegeben zu finden. Dabei liegt das Gasthaus an einer günstigen Stelle.«
»Seid Ihr wirklich sicher?« Noch einmal fragte Magdalena nach, erhielt aber keine Antwort. Also folgte sie seinem Blick. Ein gutes Stück entfernt rumpelten die restlichen beiden Wagen in Begleitung der vier Bewaffneten heran. Davor hatte sich ein fremdes Fuhrwerk in den Zug gedrängt. Vermutlich wollte der Fuhrmann das sichere Geleit der Gruppe nutzen. Zunächst machte er Anstalten, seine Pferde ebenfalls auf den kleinen Platz vor dem seltsamen Gasthaus zu lenken. Nach einem kurzen Blick auf das Gebäude winkte er ab und bog an der Kreuzung nach links, auf die Straße nach Nordwesten, die nach Königswusterhausen führte. Bald verschwand er hinter einer Biegung.
Adelaide trat zu ihnen und rieb sich trotz der stickig-feuchten Luft die Arme, als friere sie.
Magdalena musterte sie, doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit von einer ausladenden Buche auf der gegenüberliegenden Straßenseite angezogen. Aus dem gedrungenen Stamm wuchs in vielen Drehungen und Windungen das Astwerk heraus, was dem Baum ein abenteuerliches Aussehen verlieh. Er strebte weniger in die Höhe als in die Breite. Daneben fand sich eine ähnliche Buche, die mehr einem breiten Busch denn einem Baum mit Stamm glich. Solche verkrüppelten Buchen waren Magdalena in den letzten Tagen immer wieder aufgefallen. Sie erinnerten sie an ähnlich verwachsene Bäume, die sie früher auf ihren Zügen mit dem Tross entdeckt hatte. »Daraus schneiden die Hexen ihre Besen«, hatte ihr Vater einmal behauptet und auf die Zweige gedeutet, die mit ihren buschigen Enden tatsächlich wie richtige Besen aussahen. Trotz der Schwüle fröstelte es sie auf einmal ebenfalls, und sie zog den Umhang enger um ihre Schultern. Eine Krähe flog durch die Luft und stieß ein heiseres Schreien aus. Die schwarzen Schwingen des Vogels bewegten sich träge, der Schnabel wirkte auffallend spitz. Leise lachte Magdalena auf. Hexenbesenbäume passten bestens in diese unheimliche Gegend. Ehringers Warnungen kamen ihr in den Sinn. Das Gebiet rund um den Spreewald war gewiss geeignet, den widersinnigen Glauben an dunkle Kräfte zu befördern. Allein die rauhe, unverständliche Sprache der Bewohner flößte einem Unbehagen ein. Wie sehr erst befremdeten ihre Gebräuche die Reisenden, die durch diese dünn besiedelte Gegend zogen.
»Eine Schande!« Helmbrechts Ausruf durchbrach ihre Gedanken. »Die Herberge war immer gut besucht. Die Kochkünste der Wirtsfrau war unter den Kaufleuten von nah und fern berühmt. Jeder, der hier entlangkam, hat gern eine Pause eingelegt, allein schon ihrer guten Fleischbrühe wegen. Vor allem aber der geheimnisvolle Branntwein weckte die Lebensgeister der müdesten Reisenden. Nur ausgewählten Gästen wurde der ausgeschenkt. Ein wahres Teufelszeug, sag ich Euch! Das hat den Rachen ausgeputzt, dass einem Hören und Sehen verging. So einen Brannt kriegt nicht jeder hin.«
»Oh, wenn Ihr das sagt!« Adelaide lächelte ihn an. Weder ihre dunkle Stimme noch ihr Lächeln verrieten, wie sie das meinte. Allein das Zucken in den Mundwinkeln ließ für einen Augenblick den Spott dahinter durchschimmern. Helmbrecht schien es nicht zu bemerken. Langsam setzte er den Hut wieder auf. »Warum hat niemand in Leipzig oder spätestens bei unserer letzten Rast in Lübben davon gesprochen, dass die Wirtsleute fort sind?« Verwundert schüttelte er den Kopf.
Unterdessen waren
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