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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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und der Route nach Königswusterhausen im Westen. Beide Städte mochten höchstens zwei Tagesreisen entfernt sein. Lübben, das sie am Morgen hinter sich gelassen hatten, fand sich nur eine knappe Tagesreise für einen Wagen, für einen Reiter wohl kaum einen halben Tagesritt entfernt. Im dünn besiedelten Gebiet am Rande des Spreewalds ließen es die Umstände angeraten sein, zur Rast in einer Herberge wie dieser einzukehren. Jenseits der Straße begegnete einem oft über Stunden kein menschliches Wesen. Dafür boten dichtes Buschwerk, hohe Laubbäume sowie das sumpfige Gelände rund um die vielen Fließe, Seen, Kanäle und Lachen einen Tummelplatz für unehrliches Gesindel. Auch das Gelände selbst barg etliche Tücken. Die Kutscher waren eifrig darauf bedacht, mit den Wagen nicht vom Weg abzukommen, um nicht in Sumpf und Morast zu geraten. Wer einmal darin versank, konnte sich kaum aus eigener Kraft auf festen Boden retten. An feuchtwarmen Tagen wie diesen machten einem zudem unzählige Mückenschwärme das Leben schwer. Obwohl erst Anfang Mai, war es zeitweilig nur dick in Tücher eingehüllt oder unter der Wagenplane versteckt erträglich.
    Magdalena unterdrückte ein leichtes Entsetzen, als sie aus dem Wagen stieg. Mit angehaltenem Atem nahm sie die Örtlichkeit genauer in Augenschein. Das einstöckige Reetdachgebäude mit den Seitenwänden aus dicken, schwarzen Holzbohlen duckte sich unter den ausladenden Ästen riesiger Kastanienstämme. Dicht rückten die Bäume an das Haus heran. Weder eine Schar gackernder Hühner noch eine Katze oder ein Wachhund waren zu sehen. Selbst der Schweinekoben lag verlassen da. Die Fenster waren fest verschlossen, die Scheiben von einer schmierigen Schicht aus Blütenstaub und Vogeldreck überzogen. Der fehlende Rauch im Schornstein ließ darauf schließen, dass niemand drinnen das Herdfeuer schürte, um eine warme Suppe aufzutischen. Auch fehlten weitere Wagen oder Pferde von anderen Reisenden. Der feuchte Modergeruch des Waldes drang heran. Laut brummten Insekten zwischen den ersten bunten Blüten.
    Einer der Bewaffneten, die den Leipziger Kaufmannszug begleiteten, gab seinem Schimmel die Sporen und lenkte es an dem Gebäude vorbei. Ein zweiter folgte ihm. Die Gewehre schussbereit in der rechten, die Zügel in der linken Hand trabten sie um das gesamte Anwesen. So hofften sie, einem möglichen Hinterhalt frühzeitig auf die Spur zu kommen. Die vier anderen Bewaffneten befanden sich noch bei den nachfolgenden Wagen. Im mittleren reisten das Kaufmannsehepaar Pohlmann nebst Mutter und Magd, im letzten folgten Kisten und Säcke voller Waren, die Helmbrecht und Pohlmann in Königsberg anbieten wollten.
    Bald schon tauchten die Reiter wieder auf und hoben die Hand zum Zeichen, dass alles in Ordnung war.
    »Seid Ihr sicher, das richtige Gasthaus vor Euch zu haben?« Fragend wandte sich Magdalena an Philipp Helmbrecht. Gerade hatte der breitschultrige Kaufmann Adelaide aus dem Wagenkasten gehoben und Carlotta die Hand gereicht. Flink wie ein Häschen sprang sie aus der rückwärtigen Luke zu Boden und eilte zum Waldrand, um Kräuter zu pflücken.
    Adelaide verharrte reglos neben dem Wagen. Selbst auf einige Schritt Entfernung sah Magdalena ihr an, wie verstört sie war. Später würde die Base ihr gewiss wieder Vorhaltungen machen, wie fahrlässig es gewesen sei, sich Helmbrecht und Pohlmann anzuvertrauen. Seit ihrem Aufbruch aus Leipzig vor zehn Tagen wurde sie nicht müde, jede Nacht damit zu beginnen. Dabei war offensichtlich, worin die eigentliche Ursache ihres Missmuts bestand: Adelaide fühlte sich nicht ausreichend von Helmbrecht beachtet.
    »Möglicherweise ist der Kutscher zu früh abgebogen, und das Gasthaus, das Ihr meint, liegt noch eine Wegkreuzung weiter.« Magdalena wählte ihre Worte mit Bedacht. Keineswegs wollte sie bei Helmbrecht den Eindruck erwecken, sie zweifelte an seinem Orientierungssinn. Gleichzeitig musste sie ihm behutsam zu verstehen geben, wie unpassend diese Herberge war. Setzte er Pohlmann und seine Gattin dem Anblick dieses tristen Anwesens aus, wären die beiden zutiefst entsetzt. Die biedere junge Kaufmannsgattin litt ohnehin über die Maßen unter den Beschwernissen der Reise. Sie war es nicht gewohnt, stunden-, ja tagelang in einem rumpelnden Wagenkasten zu sitzen. Auch schreckte sie vor Helmbrechts vernarbtem Gesicht zurück, als verkörperte er den Leibhaftigen. Ganz zu schweigen von der alten Witwe Pohlmann, die niemals von ihrer Seite wich.

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