Hexengold
die beiden anderen Wagen zur Lichtung gelangt. Pohlmanns Fuhrwerk, das von zwei stämmigen Rappen gezogen wurde, schlug einen weiten Bogen, als wollte es die Ausmaße der sonnenbeschienenen Lichtung erkunden. Neben seinem stattlichen Kutscher hielt sich Pohlmann kerzengerade auf dem Kutschbock.
Der steife Mann mochte gut zehn Jahre älter sein als Helmbrecht, also etwa Ende vierzig. Dennoch zeigte weder sein dunkelblonder Bart noch das üppige Kopfhaar Spuren von Grau. Dafür ließen die tiefen Furchen um den Mund und auf der Stirn auf ein nicht eben sorgenfreies Leben schließen. Müde blickten seine grauen Augen in die Welt. Bei seiner jungen Gemahlin, die gerade mal zwanzig Jahre alt war, handelte es sich nicht um seine erste Frau. Die war ihm zusammen mit den beiden Kindern nach einer schweren Krankheit vor fünf Jahren unter den Händen weggestorben, wie Helmbrecht Magdalena vor der Abreise erzählt hatte.
Zusammen mit der Schwiegermutter und deren stets missgelaunter, ältlicher Magd Hanna hielt sich die junge Pohlmännin unter der Wagenplane auf. Die stickige Luft darunter musste unerträglich sein. Doch nicht einmal als der Wagen quer vor den anderen beiden zum Stehen kam, streckten die drei Frauen die Köpfe heraus. Die Angst, zu viel Kontakt mit der Frischluft schädigte ihren Teint oder lockte noch mehr Mücken an, überwog die Neugier auf die Herberge und ließ die Damen weiter unter der Leinwand verharren. So stiegen nur der prächtig in schwarzen, goldbetressten Samtrock und weite Kniehosen gekleidete Pohlmann sowie sein nicht minder beeindruckender Kutscher von dem Bock herunter. An Röcken und Hemden klebten Spuren der tagelangen Reise. Beide Männer blieben auf Abstand zu Magdalena und Helmbrecht. Der Fuhrmann des letzten Wagens dagegen, der ganz allein auf seinem Fuhrwerk mit den unzähligen Kisten und Fässern hockte, schien erleichtert, endlich wieder auf Gesellschaft zu stoßen. Sogleich lenkte er sein Fahrzeug neben das erste. Die Räder knirschten und bremsten quietschend auf dem steinigen Boden ab. Die Fuhrleute winkten einander lässig zu.
Magdalena betrachtete den Kutscher ihres Wagens. In den letzten Tagen hatte sie erfahren, dass Rudolf Helmbrecht schon seit Jahren auf den Handelsreisen begleitete. Auch er wirkte angesichts der unerwarteten Trostlosigkeit rund um das Gasthaus verwirrt. Zusammen mit Mathias stand er neben seinem Ochsen und musterte die verödete Unterkunft. Abwechselnd tranken sie aus einem Schlauch, der hoffentlich Wasser und nicht etwa Bier oder gar Branntwein enthielt. Erstaunt beobachtete Magdalena, dass Adelaide dies nicht zu kümmern schien. Ihr Augenmerk war allein auf Helmbrecht gerichtet. Nicht zum ersten Mal wunderte sich Magdalena, dass die Schöne an dem von Blatternarben Gezeichneten Gefallen zu finden schien. Sonst achtete sie doch so angestrengt auf Makellosigkeit, zumindest, was das Äußere betraf.
Der zweite Fuhrmann trat zu den beiden, klopfte Rudolf kameradschaftlich auf die Schultern und nickte Mathias zu. Dann nahm er einen kräftigen Schluck aus dem angebotenen Schlauch, was Magdalenas schlimme Befürchtung nährte. »Da schläft wohl keiner von uns freiwillig für eine Nacht im Stall!«, sagte er schließlich in barschem Ton und wischte sich die Lippen. »Kannst die Nachtgespenster ja schon jetzt freudig kichern hören. Überall lauern hier finstere Gestalten. Schau nur da hinten!«
Sein schmutzstarrender Finger wies auf einen Ast, auf dem sich ein großer Rabe plusterte. Rudolf schnaufte zustimmend. Mathias dagegen schob sich ein wenig vor und erklärte mit seiner krächzenden Halbwüchsigenstimme: »So ein harmloser schwarzer Vogel jagt mir keine Angst ein. Ich habe schon in ganz anderen Löchern geschlafen. Wenn du magst, halte ich nachher Wache und verjage die Eulen und Hexen, dass du dich nicht fürchten musst.«
Rudolf lachte dröhnend. »Schau an, der Junge hat mehr Mumm in den Knochen als du, Karl.« Anerkennend tätschelte er Mathias die Schultern, während Karl nur verärgert zischte. Dennoch schienen sich die beiden Fuhrleute einig, den Fünfzehnjährigen als einen der Ihren zu betrachten. Tag und Nacht drückte er sich bei ihnen herum, ging sowohl seiner Mutter als auch Magdalena und Carlotta aus dem Weg.
So schnell wollte Karl seine unheimlichen Geschichten jedoch nicht aufgeben. Er war in seinem bisherigen Leben viel herumgekommen und wusste zu jeder Gegend und jedem Ort eine Geschichte. Bereits an den vorangegangenen Abenden
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