Hexengold
hatte er die Reisenden durch seine Erzählungen gut unterhalten. Trotzig sagte er so laut, dass alle es hören konnten: »Es sind nicht die Gespenster in der Scheune, vor denen ich mich fürchte. Es ist was ganz anderes.« Mit bedeutungsschwangerem Blick hielt er inne. Niemand regte sich, allein Adelaide lachte leise auf. Düster fuhr er fort: »Wiedergänger gehen hier um, rastlose Tote, die des Nachts ihre Ruhe nicht finden. Wenn unsereins zu schlafen versucht, tauchen sie auf und flehen um Beistand. Nur eine reine und unschuldige Seele kann sie aus ihrem Verderben retten.«
»Du immerzu mit deinen Geschichten!«, warf sein Kollege ein und rieb sich das Kinn. Auf einmal war es so still geworden, dass die trockenen Bartstoppeln unter der Berührung knisterten. Selbst Pohlmann und sein Kutscher schlenderten zu der kleinen Gruppe.
»Das sind keine Geschichten, das ist wahr«, protestierte Karl beleidigt. Als er bemerkte, dass der Kreis seiner Zuhörer sich erweitert hatte, drehte er sich der restlichen Runde zu und sprach mit funkelnden Augen weiter. »Schon öfter habe ich reden hören, dass es in dem Gasthaus hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Letzten Sommer erst haben sie da hinten in der Buche«, er wies auf den verkrüppelten Baum, der Magdalena vorhin aufgefallen war, »einen Toten hängen sehen. Noch zwei Monate später, als ich hier war, haben sie allein bei der Erinnerung daran gezittert, so grausig muss der zugerichtet gewesen sein. Doch als man die Leiche vom Ast losschneiden und zu Grabe tragen wollte, war sie verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Des Nachts aber, wenn alle auf ihren Strohsäcken lagen, ist eine seltsame Gestalt ums Haus geschlichen, hat an den Fenstern gerüttelt, an der Tür gekratzt. Hat jemand aufgemacht, ist sie verschwunden. Das Heulen aber, das sie dabei angestimmt hat, ist noch lange zu hören gewesen. Nur ein Mal, als der Wirt vor die Tür gekommen ist und sie hat verjagen wollen, ist sie geblieben und hat auf ihn eingeredet. Was sie gesagt hat, hat er niemandem verraten. Eins aber ist sicher: Kreidebleich ist er danach ins Bett gekrochen und hat fortan keine Nacht mehr ruhig schlafen können.«
»Hör auf, du machst den Damen nur Angst«, warf Rudolf ein. Doch Karl ließ sich nicht abhalten, mit leiser Stimme und düsterem Blick weiterzuerzählen: »Die Wirtin hat das alles als Hirngespinste abgetan. Einen Sud aus Klatschmohn hat sie ihrem Mann aufgebrüht und Johanniskraut verabreicht. Auch Rautentee hat sie ihm hingestellt. Geholfen hat nichts davon. Immer schlimmer ist es geworden. Unter den Augen hat er dicke, schwarze Ringe gehabt. Selbst der Appetit auf ihre guten Suppen ist ihm vergangen. Seit jener Nacht ist allerdings noch etwas Rätselhaftes dazugekommen.« Er legte den Finger auf die Lippen und sah in die große Runde.
Erst als er gewiss war, dass ihm alle aufmerksam lauschten, räusperte er sich und flüsterte mit rauer Stimme: »Seit jener Nacht hatte der Wirt Blutspuren an den Händen.«
»Jetzt ist es also doch ein Märchen«, winkte Rudolf ab.
»Unsinn!«, brauste Pohlmanns Kutscher auf. »Der Wirt hat die Gestalt vor der Tür erstochen.«
»Stimmt. Deshalb hat er auch nicht mehr schlafen wollen.«
»Es ist doch immer das Gleiche mit deinen Geschichten.«
»Ja, das hätte ich mir denken können.«
Schon wollten sich die beiden enttäuscht abwenden, da stellte sich Karl ihnen in den Weg und hob die Hand. »Wartet! So einfach war es nicht. Da war keine Menschengestalt auf der Türschwelle, die der Wirt hätte erstechen können. Zunächst nämlich war nichts von dem Blut an seinen Händen zu sehen. Erst am nächsten Morgen ist es seiner Frau aufgefallen. Als er ihr dann von dem nächtlichen Besuch erzählt hat, wollte sie es sogleich abwischen. Doch nie hat es sich entfernen lassen. Alles haben sie versucht, immer und immer ist es wiedergekommen. Wenn ihr mich fragt: ein Fluch. Deshalb hat der Wirt schließlich Tag und Nacht Handschuhe getragen.«
Nach den letzten Worten kehrte gespenstische Stille ein. Die Fuhrleute sahen zu Boden, Magdalena, Adelaide und Helmbrecht wagten nicht, sich zu rühren. Endlich schob Pohlmanns Fuhrmann sich vor. »Schaurig, wirklich. Da läuft einem vom Zuhören schon der Schweiß über den Buckel. Aber was war jetzt mit dem Toten im Baum? Hat der was damit zu tun? Wenn er erhängt wurde, braucht der Wirt kein Blut an den Fingern haben.«
»Richtig«, nickte sein Kollege. »Das Blut kommt wohl eher daher, weil der Wirt
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