Hexengold
Dann wird es Euch besser gehen. Vielleicht seid Ihr dann zu Hause, inmitten Eurer Familie. Gebären ist nicht schlimm. Es wird mit jedem Mal besser und einfacher, glaubt mir.« Wieder wischte sie ihr über das blasse Gesicht und strich mit den Fingerkuppen zärtlich über die eingefallenen Wangen. Es war ihr, als erstarrte die junge Frau unter den Worten zu Eis. »Zu Hause gibt es nicht mehr«, flüsterte sie. »Und auch keine Familie. Nie mehr!«
»Scht!«, versuchte Magdalena, sie zu trösten, und streichelte ihr das borstige Haar aus der Stirn. Ein böser Verdacht keimte in ihr. Sie betrachtete die Frau noch einmal genauer und entdeckte kleinere Narben am Unterleib, winzige Pusteln in den Leisten, die auf einen Ausschlag deuten mochten, und war sich bald sicher: Die Frau hatte versucht, die Frucht in ihrem Leib zu zerstören! Zunächst waren es vielleicht nur verschiedene Kräuter und Aufgüsse gewesen, irgendwelche rätselhaften Pulver, wie manche Bauersfrauen sie in düsteren Ecken während der Markttage mit Verschwörermiene anboten. Als das nicht half, hatte sie wohl zu anderen Mitteln gegriffen.
Magdalena schalt sich für die eigene Unaufmerksamkeit, die Hinweise nicht sofort entdeckt und das Verhalten der Frau nicht richtig gedeutet zu haben. Erschüttert suchte sie nach Worten, der Ärmsten in all ihrer Verzweiflung doch noch etwas Tröstendes zu sagen. Die Angst vor dem Dasein als Ehefrau und Mutter musste ihr genommen, die schönen Seiten des weiblichen Schicksals vor Augen geführt werden. Übermüdet lachte sie auf und tastete nach dem Bernstein. Dass ausgerechnet sie einer anderen von dem geruhsamen, freudenreichen und erstrebenswerten Alltag einer Hausfrau und Mutter erzählen wollte, war eine weitere seltsame Laune des Schicksals.
18
Unerwartet tauchte das Gesicht der Pohlmannwitwe in der rückwärtigen Öffnung des Planwagens auf. »Was geht da drinnen vor?«, blaffte sie. Das Talglicht beleuchtete die tiefen Falten und grimmigen Runzeln ihres Gesichts. In ihrem Rücken versuchte Carlotta, der Mutter Zeichen zu geben. Verständnislos sah Magdalena sie an. Die alte Kaufmannsfrau war indes nicht gewillt, ihr Zeit zum Überlegen zu gewähren. »Was habt Ihr mit meiner Schwiegertochter angestellt? Kommt raus und erklärt es uns!«
Der Tonfall ließ keinen Zweifel, dass es ratsam war, der Aufforderung sofort Folge zu leisten. Flüchtig strich Magdalena der jungen Frau noch ein letztes Mal übers Haar. Sie war eingeschlafen. Ein unerwarteter Friede lag auf ihren Gesichtszügen. Magdalena schien es plötzlich wie ein Abschied für immer. Mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch kletterte sie aus dem Wagen.
Unterdessen hatten sich vor dem Pohlmann’schen Fuhrwerk sämtliche Mitglieder der Reisegesellschaft eingefunden. Das Schweigen lastete schwer auf ihnen. Lediglich zwei der Bewaffneten patrouillierten in einiger Entfernung in einem weiten Bogen um das Lager. Die Sonne war gesunken, der letzte Lichtstreif am Horizont verschwunden. Grillen zirpten, Frösche quakten. Ein sanfter Wind strich durch die Bäume, brachte die zartgrünen Blätter zum Rascheln. Hell leuchtete die Mondsichel vom klaren Maihimmel herab.
Magdalena musste keinem der Anwesenden direkt ins Gesicht sehen, um über die Anklage Bescheid zu wissen. Adelaides Haltung sprach Bände, ebenso die unheilvolle Stille, die sie umfing. Hilflos folgte Carlotta im Abstand von zwei Schritten der alten Pohlmännin, bis sie Mathias erreichte, und stellte sich überraschend dicht neben ihn. Betreten blickten die beiden zu Boden.
Magdalena folgte ihrem Blick – und erstarrte: Zu ihren Füßen lagen die beiden Leinenbündel! Eine Wolke Mücken flirrte darüber. Niemand unternahm etwas, sie von dem blutigen Festmahl zu vertreiben.
»Was ist da drinnen?« Die alte Kaufmannswitwe wies mit ihrem langen Zeigefinger auf den Stoff hinunter. »Sagt Ihr es selbst oder muss ich es tatsächlich aufschnüren?«
»Das könnt Ihr halten, wie Ihr wollt«, erwiderte Magdalena so ruhig wie möglich. »Doch wenn Ihr Euch einen furchtbaren Anblick ersparen wollt, lasst die Bündel so vergraben, wie sie sind. Ändern könnt Ihr ohnehin nichts mehr daran, dass Eure Schwiegertochter das Kind verloren hat. Seid froh. Wenigstens sie hat die Niederkunft gut überstanden.«
»Das ist doch alles Hexenwerk!« Von der anderen Seite des Halbkreises schoss die mürrische Hanna flink heran und richtete den dürren Zeigefinger anklagend auf Magdalenas Brust. »Nie und nimmer
Weitere Kostenlose Bücher