Hexengold
Soldatenstiefel, abertausend Pferdehufe und Hunderte von Wagenrädern jeden Grashalm niedergewalzt. Die kümmerlichen Überreste verdorrten in der unbarmherzigen Maisonne. Doch selbst wenn das Getreide gerettet worden wäre: Weit und breit gab es weder Mühlen noch Müller, die das Korn hätten mahlen können. Die nach Nordwesten abziehenden Truppen des polnischen Königs hatten ganze Arbeit geleistet und die Mühlen zerstört. Die ihnen nachsetzenden Schweden hatten das Ihre dazu beigetragen, auch das allerletzte Rad noch zu vernichten. Den Bauern war nichts anderes geblieben, als Feld und Hof im Stich zu lassen und sich Schutz suchend in die Mauern der nahen Stadt zu flüchten.
»Schau dir dieses Elend an, Mutter. Das ist dir bestens vertraut, oder?« Mit einem vorwurfsvollen Unterton wandte sich Carlotta zu Magdalena um. Als hätte es die Ereignisse um Pohlmanns Frau am Vortag nicht gegeben, knüpfte sie an die gestrige Unterhaltung über die Jahre im Heerestross der Kaiserlichen an.
Magdalena antwortete nicht gleich. Seit dem Aufbruch aus dem einsamen Waldhaus in der frühen Morgendämmerung ritten sie schweigend auf Helmbrechts Ross, jede von ihnen tief in Gedanken versunken. Die Erinnerung an Helmbrechts Bernsteinaugen ließ Magdalena nicht los. Sein Verhalten beschämte sie noch immer. Trotz des Hinweises auf seine wichtige Mission blieb es ihr unbegreiflich. Gleichzeitig beunruhigte es sie, wie sehr er ihr Denken beherrschte. Das stand keinem anderen zu als Eric. Angestrengt konzentrierte sie sich auf ihren Gemahl, suchte sich den Blick seiner tiefgründigen blauen Augen ins Gedächtnis zu rufen, das schelmenhafte Schmunzeln lebendig werden zu lassen, die hoch aufgeschossene, kräftige Gestalt vor sich zu sehen. Nur noch wenige Tage, und sie würden einander in die Arme schließen! Dann klärte sich alles auf, das bange Hadern und Zweifeln hatte ein Ende.
Voller Vorfreude umfassten ihre Finger den Bernstein, das Pfand ihrer ewig währenden Liebe, der beste Beweis, dass sie einander immer wiederfanden, wie einst im Großen Krieg, so auch jetzt in den Wirren der schwedisch-polnischen Kämpfe. Still lächelte sie in sich hinein. Im gemächlichen Schritttempo lenkte sie den Schimmel über die jahrhundertealte Kaufmannsstraße durch den lichten Birkenwald und schließlich quer über die Ebene ostwärts Richtung Weichsel.
Nach einer geraumen Zeit erst griff sie Carlottas Frage auf. »Ja, das kommt mir alles sehr bekannt vor. So sieht es aus, wenn Heer und Tross entlanggezogen sind. Daran siehst du, wie schlimm der Krieg vor allem die Unschuldigen trifft. Es ist genau so, wie die weise Frau aus dem Wald uns letzte Nacht erzählt hat: Aus blinder Wut, die Schweden nach fast zwei Jahren nicht aus Thorn locken zu können, haben die Truppen Johann Kasimirs auf dem Rückzug nach Bromberg alles zerschlagen, was noch einigermaßen Bestand gehabt hat. Damit haben sie ihr eigenes Land, ihre eigenen Leute getroffen. Sieh dich nur um! Nicht einmal die Ernte kann dieses Jahr noch eingebracht, kein Korn Getreide mehr gemahlen werden. Das Bündnis mit den Truppen der Habsburger, Dänen und Niederländer nützt dem polnischen König derzeit ebenso wenig wie das mit dem Herzog von Brandenburg, das er im letzten Herbst erst eingegangen ist. Der Brandenburger Friedrich Wilhelm hat sich übrigens von seinem bisherigen schwedischen Lehnsherrn losgesagt, weil er meint, mit dem polnischen König besser dran zu sein. Daran siehst du, wie leichtfertig die großen Herren in Kriegszeiten die Fronten wechseln und auf Kosten der Kleinen ihren Frieden untereinander machen. Die stehen vor verwüsteten Feldern und leeren Speichern und werden die Wintermonate hart darben müssen.
Doch es bringt wenig, darüber zu lamentieren und das Verhalten zu verdammen. Du weißt auch so, worauf ich gestern schon hinauswollte: Nicht den Krieg habe ich mir herbeigesehnt, sondern das, was ich daraus gelernt habe: meine Chancen zu ergreifen und das Beste daraus zu machen. Doch sieh, da hinten beginnt das Lager. Wenn die weise Frau aus dem Wald recht hat, so sind es die Österreicher, die diesseits der Weichsel ihre Zelte aufgeschlagen haben.«
Sie gab dem Schimmel die Sporen. Das Pferd trabte an. Bald waren sie nah genug, um die Fahnen und Wappen des Heereslagers am Horizont zu erkennen. Sie flatterten im leichten Wind, die einst so fröhlichen Farben von Sonne und Witterung gebleicht. Trotz der schier unüberschaubaren Zahl Zelte, Wagen und Unterstände
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