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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Vinzent und Eric kurz vor Haßfurt am Main gegeben. Fest schloss Magdalena die Augen, um die schrecklichen Bilder zu verdrängen, die in ihr aufstiegen: Blut, verrenkte Glieder, aufgerissene Leiber. Mit einem Mal war es, als sei es gestern gewesen. Sie riss die Augen wieder auf und beschleunigte ihren Lauf. Schlimm genug, dass die Marodeure Erics Freund und Vetter Vinzent gemeuchelt hatten. Eric aber durfte nicht auch noch sterben! Also musste sie sich beeilen.
    Hastig übersprang sie eine Pfütze, stieß gegen einen Stein und strauchelte. Es stach ihr bereits in der Seite. Im Weiterlaufen presste sie die Hand in die rechte Hüftseite. Wenn ihr nur nicht die Luft wegblieb! Wieder galt es, einem Entgegenkommenden auszuweichen. Fluchend machte der Bucklige Platz. Magdalena fuhr abermals ein heftiger Stich in die Seite. Mitte dreißig war ein Alter, in dem die Lebenskraft bei vielen Frauen schwand. Doch lamentieren konnte sie später, jetzt zählte anderes. Sie atmete tief durch, das Seitenstechen ließ nach. Schon rannte sie weiter. Erst als sie beinahe auf einem faulen Kohlkopf ausglitt, blieb sie stehen. Ihr Fuß war aus dem Schuh gerutscht, der rechte Knöchel schmerzte. Vorsichtig angelte sie mit den Zehen nach dem zierlichen Lederschuh und schob den Fuß wieder hinein. Sie trat flach auf, knickte ein, schrie auf, versuchte es erneut. Nach zwei, drei Schritten ging es besser. Sie biss die Lippen zusammen und hob den Kopf. Dort vorn war die Metzgerpforte. Nur noch dort hindurch und schon stand sie am Mainufer.
    Das Getümmel entlang der Hafenmauer war noch geschäftiger als oben in der Stadt. Ein Durchkommen zwischen den Händlern, Huren und Marktweibern zu finden erwies sich als äußerst schwierig. Erst recht, wenn man es so eilig hatte wie sie und kaum größer war als ein halbwüchsiges Mädchen. Der schmerzende Knöchel war vergessen. Flink schob sie sich zwischen zwei schwatzenden, dicken Mägden hindurch, wich einem Pulk gackernder Hühner aus, umrundete eine große Lache Wein im aufgerissenen Pflaster. Von dem ungestümen Rennen glühten ihr die Wangen, das rot gelockte Haar klebte an der Stirn. Der kostbar verzierte Rocksaum starrte vor Dreck. Längst musste sie aussehen wie eine gewöhnliche Magd. Kein Wunder, dass ihr niemand den ihr als ehrbarer Kaufmannsgattin zustehenden Respekt zollte.
    Atemlos erreichte sie die Kaimauer. Suchend wanderten ihre Augen über die vielen Kähne, die daran festgemacht hatten. Auf den sanften Wogen des träge dahinfließenden Mains schaukelten sie hin und her. Silbern glitzerte das Wasser, Enten ließen sich auf der Strömung abwärtstreiben. Kräftige Männer entluden die Boote, schulterten gewaltige Säcke, Kisten und Fässer. Überall an der Kaimauer stapelte sich das Transportgut. Mehrere Fuß hoch türmte sich das Holz auf. Auf der Suche nach Fressen stießen Möwen durch die Luft und schickten gellende Schreie aus. Halbwüchsige Jungen erhofften sich Boten- oder Schleppdienste, um ein paar Pfennige zu verdienen. Eine Gänsefamilie stakste über den Weg, Spatzen pickten nach Krumen. Schiere Verzweiflung packte Magdalena. Wie sollte sie in diesem Getümmel den richtigen Kahn finden? Sie legte die Hand an die Stirn, um die Augen gegen das schräg einfallende Sonnenlicht abzuschirmen. Die Oktobersonne trieb einem den Schweiß auf die Stirn. Vielleicht aber war es auch die Angst, die Magdalena zum Schwitzen brachte.
    Weit konnte sie von ihrem Standort aus nicht sehen. Die haushohen Stapel entlang der Ufermauer versperrten die Sicht. Und sie war zu klein, um über die Köpfe der vielen Menschen schauen zu können. Irgendwo musste der Kahn mit ihrem halbtoten Ehemann doch liegen! Sie hastete weiter flussabwärts und passierte den Staufischen Turm mit dem langgezogenen Walmdach. Weiter hinten erspähte sie die beiden trutzigen Hafenkräne, vor denen ein Pulk größerer Schiffe ankerte. Besorgt verlangsamte sie ihre Schritte. Der von dem Jungen bezeichnete Kahn musste weiter oben festgemacht haben. »Hierher!« Breitbeinig stand ein Schiffer in seinem Boot und schwenkte den Hut über dem Kopf. »Hierher müsst Ihr!«
    Zunächst begriff sie nicht, dass er sie meinte. Dann aber fiel die Betäubung von ihr ab. Dort war Eric! Sie sprang die Treppe von der Ufermauer zu dem breiten Holzsteg hinunter. Mehrere Kähne verschiedener Größe waren an den schwimmenden Planken festgebunden. Vom mittleren aus winkte ihr der Schiffer aufgeregt entgegen. Bevor er ihr die Hand reichen konnte,

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