Hexengold
beide einander genauso verpflichtet wie unsere Männer. Keine von uns darf aus diesem Bund ausscheren, will sie die anderen nicht mit ins Verderben reißen. Und das gilt auf lange Sicht. Sobald die eine Seite etwas darüber verlauten lässt, was die Rechtmäßigkeit der Erbschaft der anderen ins Zwielicht rückt, wird die andere Seite sie mit in den Abgrund ziehen.«
Während Magdalena hoch erhobenen Hauptes den Dachboden verließ, spürte sie Adelaides Blick im Rücken. Tief in ihrem Innern fühlte sie den Dolchstoß, den Adelaide ihr versetzt hatte. Abermals hatte Eric sie hintergangen. Ihr vertraute er weniger als seinem Kompagnon, dem angeblichen Vetter. Warum sonst hatte er sie nicht über die wahren Hintergründe der Erbschaft unterrichtet? Schlimmer noch: Er hatte ein Verbrechen begangen und wichtige Dokumente über seine Herkunft gefälscht! Vinzent musste etwas noch Schwerwiegenderes gegen ihn in der Hand haben, damit er dazu bereit gewesen war. Tränen der Verzweiflung traten ihr in die Augen. Ihre Finger suchten nach dem Bernstein unter dem Mieder. Fest umschloss sie ihn und hoffte inständig, der Glücksbringer gewährte ihr einen Fingerzeig.
»Magdalena, wo steckst du?« Eric trat aus der Wohnstube im ersten Stock und sah sich suchend um. Als er sie erspähte, hellte sich sein Gesicht auf. Um seine Mundwinkel zuckte es, die blauen Augen strahlten.
Mit weichen Knien blieb sie vor ihm stehen und sah ihn forschend an. Schon wollte sie ihn zur Rede stellen, doch die Stimme versagte ihr. Der Zauber, der ihn seit mehr als vierzehn Jahren in ihren Augen umgab, verflog nie. Die vielen ungelösten Rätsel um seine Person faszinierten sie zu sehr, als dass sie sie wirklich lösen wollte. Erschöpft sank sie in seine Arme und presste sich an ihn.
»Liebes, was ist mit dir?« Er küsste sie auf das Haar und strich ihr über den Rücken. Sie wollte sich wehren, doch ein heftiges Schluchzen schüttelte ihren schmächtigen Körper, nahm ihr die Kraft, sich zu widersetzen.
»Ich liebe dich«, hörte sie sich flüstern. Ohne die Augen zu öffnen, suchte sie mit den Lippen seinen Mund. Überrascht von dem unerwarteten Gefühlsausbruch am helllichten Tag ließ er es geschehen.
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Erster Teil
Der Überfall
FRANKFURT AM MAIN
Herbst 1657 bis Frühjahr 1658
1
D er Junge, der die Nachricht überbrachte, hatte kaum das letzte Wort gesprochen, als Magdalena ihn beiseiteschob und aus dem Kontor stürmte. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander: Eric schwerverletzt in einem Boot unten am Main – sie musste sofort zu ihm! Es ging um Leben und Tod. »Mama, was ist?«, hörte sie Carlotta rufen. Sie sah sich nicht einmal nach der Tochter um. Erst draußen auf der Straße hielt sie kurz inne. Ein hoch mit Weinfässern beladener Wagen ratterte dicht an ihr vorbei. Ungeduldig trippelte sie auf der Stelle und spähte umher, ob es nicht anderweitig ein Durchkommen gab. Ihre Finger zitterten, als sie den Bernstein unter dem Mieder hervorangelte. Leise murmelte sie einige Worte des Gebets und hauchte einen Kuss auf den goldgelben Stein mit dem wunderlichen Insekt darin. So oft schon hatte er Eric und ihr beigestanden. Auch dieses Mal durfte er seine Hilfe nicht versagen. Endlich war der Wagen vorbei, und Magdalena hatte freie Bahn.
Flink raffte sie den Rock aus dunkelrotem Taft, wandte sich nach rechts und rannte los. Auf einmal war sie nicht mehr die wohlsituierte Kaufmannsgattin aus Frankfurt am Main, sondern die ungestüme Söldnertochter aus dem Heerestross der Kaiserlichen. Wie damals während des Großen Krieges eilte sie zu ihrem geliebten Eric. Seither hatte sie ihm schon mehr als ein Mal das Leben gerettet. Auch jetzt hoffte sie, noch rechtzeitig bei ihm einzutreffen und ihn vor dem Tod zu bewahren. Das war ihre Aufgabe, daran änderte sich wohl nie etwas.
Ihre Füße flogen über den gepflasterten Boden. Im Zickzack, einem gejagten Kaninchen gleich, suchte sie sich den Weg durch den Vormittagstrubel. Dass sie einen Mann mit einem leeren Handkarren fast umstieß und kurz darauf eine Frau rüde anrempelte, so dass die Äpfel aus dem voll bepackten Weidenkorb purzelten, kümmerte sie nicht. Auch das aufgebrachte Zetern eines anderen mit einem Tragkasten voller Reisig auf dem Rücken, der ihretwegen in eine Abwasserpfütze sprang, drang nicht zu ihr durch. Sie musste zu Eric. Ihr Herz raste, das heftige Pochen hallte ihr wie Hammerschläge in den Ohren.
Einen Raubüberfall hatte es auf den Kaufmannszug von
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