Hexengold
in Filz eingeschlagene kleine Zange aus Eisen, ein silberner Messlöffel und mehrere Nadeln. Das Band, das die Gegenstände umschlang, war aus demselben Stoff wie Adelaides Kleid. Vorsichtig strich Magdalena das Papier glatt. In regelmäßigen, schön geschwungenen Buchstaben waren Rezepturen für Wundpflaster und Heilsalben darauf geschrieben.
»Wie bist du darauf gekommen, dass es mir gehört?« Adelaide nahm ihr das Kästchen aus der Hand und strich behutsam mit den langen, schlanken Fingern darüber. Die Geste verriet mehr, als Worte hätten ausdrücken können. Magdalena senkte den Blick, damit die Base ihr Lächeln nicht bemerkte.
»Hier, sieh dir die Locke an.« Mit dem Finger zeigte sie auf den Inhalt des Kästchens. Adelaide runzelte die Stirn. Rasch erklärte Magdalena weiter: »Solch tiefschwarzes Haar habe ich außer bei dir und deinem Sohn bislang nur bei einem einzigen anderen Menschen gesehen. Und der ist längst tot.« Kurz hielt sie inne und gedachte ihres einstigen Gefährten Rupprecht. Über viele Jahre hatte sie mit ihm zusammen das Wundarzthandwerk bei Meister Johann erlernt. Mehrfach hatte er ihr das Leben gerettet. Nach Ende des Großen Krieges aber war er bei einem unglücklichen Mauereinsturz ums Leben gekommen. Ihre Lippen bebten, ihre Kehle wurde eng.
Tapfer fuhr sie fort: »Außerdem hat Hedwig mir erzählt, wie du den alten Oheim gepflegt und bis zuletzt fachkundig versorgt hast. Ohne gewisse Kenntnisse wäre dir das wohl nicht so leichtgefallen. Selbst Hedwig war des Lobes voll, welche Aufgüsse und Tropfen du ihm zu verabreichen wusstest, um ihm die Schmerzen zu nehmen und das Sterben zu erleichtern.«
Sie drückte Adelaide nochmals die Hand auf den Arm. Endlich hob die Base den Kopf und lächelte. »Ich habe wohl doch nicht gründlich genug aufgeräumt. Das kann passieren. Was aber willst du von mir? Wenn du denkst, ich fange an, im nächsten Frühjahr gemeinsam mit dir draußen vor der Stadt Kräuter zu sammeln und hier oben Tinkturen anzurühren, muss ich dich enttäuschen. Auch wenn ich die Tochter eines Apothekers bin und lange genug in der Offizin meines Vaters geholfen habe, werde ich jetzt gewiss nicht mehr Vegetabilia, Animalia und Mineralia auf dem Speicher sortieren. Dieses Leben liegt lange hinter mir – zum Glück! Wenn du als Wundärztin arbeiten willst und Hilfe brauchst, musst du schon Hedwig oder eine der Mägde darum bitten. Ich bin die Gattin eines ehrbaren Kaufmanns und habe nicht vor, jemals noch etwas anderes zu sein.«
Mit dem Kästchen in der Hand erhob sie sich. Offenbar hatte sie nicht vor, es in das Versteck zurückzulegen. Magdalena richtete sich ebenfalls wieder auf, strich den Rock glatt und wartete, bis Adelaide das Kästchen sorgsam verschlossen hatte. »Warum verschweigst du deine Herkunft? Das Apothekerhandwerk ist eines der angesehensten, die es gibt.«
»Davon muss keiner wissen. Es geht einfach niemanden etwas an, auch Vinzent nicht, verstanden?« Adelaides Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich warne dich, meine Liebe: So wie es wohl besser ist, dass niemand nachfragt, wer du und Eric wirklich seid, so solltest auch du darauf verzichten, noch einmal über das hier zu sprechen.«
»Ich wüsste gar nicht, mit wem ich darüber sprechen sollte.« Magdalena sah ihr offen ins Gesicht.
»Sehr gut.« Adelaide wollte sich umdrehen und gehen, doch Magdalena stellte sich ihr in den Weg. »Nein, nichts ist gut, solange du meinst, mir und Eric mit irgendwelchen Enthüllungen über unsere Herkunft drohen zu müssen. Da gibt es keine dunklen Geheimnisse. Wir haben nichts zu verbergen. Gern erzähle ich jedem, der es wissen möchte, wer wir sind und wie es kommt, dass wir hier in Frankfurt als ehrbare Kaufleute ansässig geworden sind.«
»Bist du dir da so sicher?«
»Natürlich.« Verwirrt sah Magdalena sie an. »Wie gesagt: Es gibt keine dunklen Geheimnisse.«
Kaum hatte sie das ausgesprochen, schalt sie sich für ihre Einfalt. Adelaides Blick sagte alles. Niemand ist der, den man seit langem zu kennen meint, stieß es ihr bitter auf. Hatte sie nicht schon bei ihrer ersten Begegnung gespürt, dass sie sich besser vor Adelaide in Acht nahm? Vettern und Basen, überhaupt diese ganzen Verwandtschaftsdinge hatten ihr noch nie Glück gebracht. So wie seinerzeit mit ihrer leiblichen Kusine Elsbeth war ihr also auch mit Adelaide als angeheirateter Base nicht viel Freude beschieden. Wie hatte sie nur hoffen können, dieses Mal wäre es anders!
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