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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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rund um die langen Reihen der verlassenen Buden die abenteuerlichsten Gestalten herum: Gaukler und Spielleute, Huren und verkrüppelte Bettler. Sie alle suchten unter dem Schutz der Linden ein bescheidenes Auskommen.
    An der Westseite des Marktes ragte ein prächtiges Haus aus den Reihen der üppig verzierten Anwesen hervor. Mehrere Türme und hoch aufragende Spitzen zierten das Dach. In dem Gebäude hatte die einflussreiche Kaufmannsgilde ihren Sitz, wie ein Schild davor verkündete. Mittlerweile wurde es von schwedischen Offizieren als Quartier benutzt. Einige verzweifelte Frauen flanierten in aufreizender Kleidung davor auf und ab, von der schwachen Hoffnung beseelt, durch den Verkauf ihres Körpers etwas zu essen aufzutreiben. Hochnäsig musterten drei Soldaten die dargebotenen Reize. Das monatelange Darben hatte deutliche Spuren auf den Frauenleibern hinterlassen. Gierig auf den ersehnten Verdienst, unterboten sie sich gegenseitig im Preis. Trotzdem schoben die Männer sie fort und wiesen stattdessen feixend auf Magdalena und Carlotta.
    »Untersteht euch«, zischte Magdalena einen der Burschen an, der sich ihr ungebührlich näherte. »Oder willst du Ärger mit Hauptmann Lindström?« Die Erwähnung des Namens genügte, dem unschicklichen Treiben sofort Einhalt zu gebieten.
    »Lieber nicht«, knurrte der Mann und schnappte sich das nächstbeste Mädchen, um mit ihr im Schatten des Rathauses zu verschwinden.
    Hastig rannten sie weiter. Kurz darauf entdeckten sie endlich, wonach sie suchten: Gegenüber einer einschiffigen Kirche prangte das Schild einer Apotheke. Die Eingangstür war sorgsam verriegelt, ein Klingelzug fehlte. Energisch klopfte die Mutter gegen das Eichenholz. Nach einer halben Ewigkeit öffnete sich ein Fenster im ersten Geschoss, und eine aufgebrachte Stimme rief: »Ruhe da unten! Sucht euch mit euren Dirnen eine andere Ecke, oder ich kippe einen Kübel Wasser über eure Köpfe!«
    »Gemach, gemach, guter Mann.« Die Mutter trat auf die Straße zurück, legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben. Carlotta tat es ihr nach. Ein spitznasiges Altmännergesicht schob sich über das Fenstersims in ihr Blickfeld. Dicht daneben stand tatsächlich ein Eimer Wasser bereit. Offenbar waren sie nicht die Ersten, die den Apotheker zu später Stunde belästigten. »Hört uns vorher lieber an«, fuhr die Mutter fort. »Wir sind Wundärztinnen und benötigen unbedingt etwas aus Eurer Apotheke. Es geht um die Behandlung eines sehr wichtigen Patienten.«
    »Das sagen alle. Hinterher stellt sich dann heraus, dass es nur um den Brummschädel eines versoffenen Ehemannes geht. Der Deinige soll seinen Rausch ausschlafen. Das schafft er auch ohne meine Hilfe. Wenn es morgen nicht besser wird, komm wieder.« Schon wollte der Apotheker ins Innere verschwinden, da rief die Mutter: »Es reicht! Wenn Ihr nicht schuld sein wollt, dass der schwedische Hauptmann Lindström seinen Magenkrämpfen erliegt, schließt uns jetzt endlich auf!«
    »Zum Teufel noch mal! Woher soll ich wissen, ob Ihr die Wahrheit sagt?«
    »Schaut uns an: Sehen wir so aus, als wollten wir nur einen betrunkenen Ehemann behandeln? Stellt mir meinetwegen eine Frage zur Heilkunde, ich werde sie Euch flugs beantworten. Aber macht um Gottes willen endlich Eure Tür auf und lasst uns rein.«
    »Also gut.« Im nächsten Augenblick verschwand der Kopf des Apothekers im Dunkeln. Scheppernd schloss er den Fensterflügel und verriegelte ihn umständlich. Dann geschah eine quälend lange Zeit gar nichts. Endlich rasselte es hinter der Eingangstür. Das Eisen des Schlosses knarrte, als der Schlüssel hineingesteckt wurde. Dreimal wurde er umgedreht, dann schwang die schwere Tür nach innen auf. Vor ihnen stand ein buckliger, dürrer Mann in einem weiten, schwarzen, mit reichlich Flecken und Löchern übersäten Hausmantel. Die großen Füße steckten in Pantoffeln, die jeweils eine rote Schleife zierte. Die riesigen Hände waren ebenfalls sehr auffällig. Aufs hässlichste entstellt ragten sie aus den weiten Ärmeln des Mantels heraus. Säure hatte ihm die Haut darauf verätzt. Unzählige Narben verrieten, wie wenig zimperlich er bei seinen Versuchen vorging. Der halbkahle Schädel des Männleins thronte auf schmächtigen Schultern. Von Angesicht zu Angesicht wirkte die Nase in seinem Gesicht noch länger und spitzer, als es vorhin am Fenster den Anschein gehabt hatte. Unzählige Falten und Runzeln deuteten auf sein hohes Alter hin. Dennoch wirkte seine Stimme

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