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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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erstaunlich frisch. Auch die grauen Augen sprühten lebendig.
    »Bitte«, sagte er und trat beiseite. Kaum hatte Carlotta die Apotheke betreten, fühlte sie sich zu Hause: Auf der langen Theke stand neben einer goldenen Waage ein großer Leuchter. Das flackernde Licht der vielen Kerzen erlaubte den Blick in eine trotz der harten Kriegszeit bestens ausgestattete Offizin. Bis zur reich bemalten Decke hinauf zogen sich die mit Tiegeln, Porzellankrügen und Kupferkesseln bestückten Regale. Daneben reihten sich ebenfalls raumhohe Schubladenschränke aneinander. Die akkurate Beschriftung der Tafeln und Schilder verriet die ausgefallensten Kräuter, Öle und Rezepturen. An mehreren Stangen hingen kopfüber getrocknete Sträuße mit unterschiedlichen Heilpflanzen. Vor einer Tür zum rückwärtigen Teil des Hauses warteten prall gefüllte Säcke mit Kaffee, Kakao und Gewürzen. Der angenehme Duft erfüllte das gesamte Innere. Die Erinnerung an die Frankfurter Apotheke von Doktor Petersen ergriff Carlotta so heftig, dass sie unwillkürlich aufschluchzte. Ein beschämter Blick zu ihrer Mutter bewies ihr, wie sehr auch sie von Wehmut beseelt war.
    »Euch scheint die monatelange Besatzung der Schweden nicht sonderlich zu schaden«, sagte sie zu dem Apotheker.
    »Warum sollte es?« Verwundert sah er sie an und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Da erst bemerkte Carlotta, dass er Magdalena kaum überragte. Selbst wenn er keinen Buckel gehabt hätte, wäre er nicht viel größer gewesen. »Ich führe keinen Krieg, mit niemandem. Zeit meines Lebens verstehe ich mich als Freund der Menschen. Wer meine Hilfe braucht, kann auf mich zählen, egal, welcher Landsmann er ist.«
    »Dann sind wir genau richtig bei Euch.« Die Mutter lächelte. »Ich habe es vorhin bereits erwähnt: Wir müssen Hauptmann Lindström behandeln.«
    »Ihr meint es also ernst?« Unverhohlen musterte er sie von oben bis unten. Sein Urteil fiel nicht besonders schmeichelhaft aus, das zeigte sich daran, wie verächtlich er die Nase hochzog.
    »Davon müsst Ihr doch längst ausgehen. Warum sonst habt Ihr uns eben die Offizin aufgesperrt?«, mischte sich Carlotta ein. Der mahnende Blick der Mutter störte sie nicht. Sie fand es an der Zeit, dem unfreundlichen Mann etwas entgegenzusetzen.
    »Erzählt mir nicht, Ihr seid wirklich in der Heilkunde bewandert. Von mir aus mögt Ihr beide Euch gern Wundärztinnen nennen.« Er winkte ab, als sie ihm abermals widersprechen wollte. »In Kriegszeiten mag es angehen, wenn Frauen wie Ihr innerhalb kurzer Zeit lernen, Wunden zu verbinden oder meinetwegen sogar verfaulte Glieder abzusägen. Sich um so etwas zu kümmern, fehlen dann oft die richtigen Männer. Und aus der Not heraus ist schon so manch einer zum wahren Meister geworden. Trotzdem sollt Ihr nicht vergessen: Die Lehre von dem, was im menschlichen Organismus vor sich geht, erfordert nach wie vor weitaus mehr als nur handwerkliches Geschick, von fundiertem Wissen, wie es an den medizinischen Fakultäten gelehrt wird, ganz zu schweigen. Dazu reicht ein kleines Frauenhirn einfach nicht aus. Nicht umsonst sind die Studien an den Universitäten allein Männern vorbehalten.«
    Carlotta schnappte nach Luft. Zu ihrem Entsetzen schlug es an der nahen Kirchturmuhr bereits halb zehn. Die Zeit drängte immer mehr. Am besten sollten sie den dürren Mann packen und knebeln. Dann konnten sie in seinem Laboratorium endlich tun, wozu sie da waren: die notwendige Arznei für Lindström mischen.
    Zu ihrer Überraschung erwiderte ihre Mutter dem widerborstigen Mann in aller Seelenruhe: »Verehrter Herr Apotheker, ich bin nicht hier, um von Euch über den Unterschied der Wundarznei und der Medizin belehrt zu werden. Meist zeigt die Praxis, ob ein studierter Mediziner tatsächlich so viel mehr über die Geheimnisse des menschlichen Körpers weiß als ein Wundarzt, der tagtäglich mit sämtlichen Gebrechen des Körpers befasst ist. Mir geht es heute Abend einfach darum, ein bestimmtes Mittel von Euch zu bekommen, um den Hauptmann von seinem Leiden zu befreien.«
    »Dann wünsche ich Euch viel Glück«, entfuhr es dem spitznasigen Mann noch immer recht verächtlich. »Genauso gut könnt Ihr gleich von der Stadtmauer aus in die Weichsel springen. Da besteht wenigstens noch eine geringe Chance für Euch, das jenseitige Ufer lebend zu erreichen.«
    »Euren Worten entnehme ich, dass Ihr Bescheid wisst. Also habt Ihr Lindström ebenfalls schon behandelt. Wie lange schon? Und vor allem:

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