Hexengold
der jungen Pohlmännin bei der Niederkunft geholfen haben. Von den Verleumdungen hinterher ganz zu schweigen. Ob es ihr gelungen ist, sich mit der alten Pohlmännin anzufreunden? Ich frage mich, wo sie alle stecken. Sie müssten doch ebenfalls längst hier sein.«
»Vermisst du etwa Mathias?« Wieder glitt Magdalenas Blick über die schmale Gestalt, die kein Kind mehr, aber auch noch keine Frau war. Eine leichte Röte huschte über die Wangen des Mädchens. Magdalena streichelte sie sanft. »Ihr beide seid euch nahegekommen, nicht wahr?«
Carlotta drehte den Kopf beiseite, schlug die Augen nieder und biss sich auf die Lippen.
»Verzeih«, murmelte Magdalena und trocknete die Tochter rasch ab.
»Hast du keine Angst, in den nächsten Tagen unvermutet Tante Adelaide gegenüberzustehen?« Carlotta drückte ihr das Leintuch gegen die Brust und schlüpfte in ihr Kleid. Beim Zuknöpfen fragte sie weiter: »Oder der mürrischen Pohlmännin? Unglaublich, dass Tante Adelaide sich ihr angeschlossen hat. Die beiden werden es nicht leicht miteinander haben. Trotzdem war es ihr lieber, als mit uns weiterzureisen.«
»Sie war einfach wütend auf uns«, versuchte Magdalena, das Thema abzuschließen, denn sie ahnte, dass etwas in der Luft lag. Mit der Erwähnung von Mathias hatte sie ihre Tochter offenkundig verletzt.
Schon brach es aus dem Mädchen heraus: »Weil Helmbrecht dir mehr zugetan ist als ihr, nicht wahr?«
»Das ist doch Unsinn!« Nun war es an Magdalena, sich verlegen abzuwenden. Ihre Wangen glühten. Sie hoffte, Carlotta bemerkte es im schalen Licht der blakenden Talglampen nicht.
»Im Grunde ist er allein daran schuld, dass Tante Adelaide uns vor den anderen als Hexen hingestellt hat«, brachte die Tochter es unerbittlich auf den Punkt. »Seit unserem Aufbruch aus Leipzig hat sie sich Hoffnungen gemacht. Als lediger Kaufmann ist er eine gute Partie für sie. Vielleicht hat sie ihn inzwischen wieder für sich gewonnen. Nach seinem Anfall aber hast du ihm das Leben gerettet, und daraufhin hat er sich in dich verliebt.«
»Du übertreibst. Er war dankbar für meine rasche Hilfe, nicht mehr und nicht weniger. Adelaide mag das falsch verstanden haben, dennoch ist das kein Grund, sich derart aufzuführen, wie sie es getan hat. Sie hat uns in eine schlimme Lage gebracht. Wir können froh sein, unbeschadet hier angekommen zu sein. Helmbrecht hat damit nichts zu tun.«
Gegen ihren Willen musste sie an seine geheimnisvollen, dunklen Bernsteinaugen denken, sah seine markante, große Nase und das schmale, vernarbte Gesicht deutlich vor sich. Dabei kribbelte es in ihrem Bauch. Sie biss sich auf die Lippen. Es war nicht recht. Sie wollte zu Eric, zu niemandem sonst!
»Was fürchtest du eigentlich, wird passieren, wenn wir Tante Adelaide treffen?« Bewusst wechselte sie das Thema.
»Sie könnte dich abermals der Hexerei bezichtigen. Vielleicht hat sie Vater unterwegs getroffen und gegen uns aufgewiegelt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum er noch nicht in Königsberg angekommen ist. Sie hält ihn irgendwo zurück und erzählt ihm eine Lüge nach der anderen. Schon zu Hause in Frankfurt hat sie das gern getan. Die Pohlmanns pflichten ihr gewiss in allem bei.«
»Und was ist mit Feuchtgruber, Imhof und Diehl? Meinst du, die glauben ihre Lügengeschichten auch? Vergiss nicht Hermann, unseren tapferen Kutscher. Der lässt deinen Vater niemals im Stich, geschweige denn, dass er Verleumdungen über uns zuließe!«
»Wenn es ihr gelingt, Vater mit ihren Geschichten zu umgarnen, sind die anderen sowieso längst für die Wahrheit verloren«, beschloss Carlotta.
»Mein armes Kind! Was sind das für seltsame Gedanken? Hast du so wenig Vertrauen in deinen Vater?« Magdalena fasste sie an den zarten Schultern und suchte ihren Blick. »Warum sollte Vater Adelaide jemals mehr Glauben schenken als uns? Ganz zu schweigen von den Pohlmanns, die ihm völlig fremd sind. Einander lieben heißt einander vertrauen und immer aufeinander bauen, ganz gleich, was kommt.« Sie hielt inne, kämpfte energisch gegen eine zweite, böse Stimme in ihrem Innern, die ihr zuflüsterte: »Niemand ist der, den man seit langem zu kennen meint.« Diesen Satz sollte sie endlich aus ihrem Kopf löschen. Sie senkte den Blick, besann sich eine Weile und fuhr entschieden fort: »Dein Vater und ich haben uns schon mehrmals für lange Jahre aus den Augen verloren. Unter den abenteuerlichsten Umständen haben wir uns jeweils wiedergefunden, jeder mit den
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