Hexengold
zurückzufinden. Die lateinischen Worte klangen ihr aus dem Mund des hiesigen Pfarrers ohnehin fremder als sonst. Nicht lang, und ihre Aufmerksamkeit glitt abermals ab. Dieses Mal waren es die aufwendig gestaltete Kreuzigungsszene am Hochaltar mit all den geschnitzten und vergoldeten Figuren sowie der davor hängende Kronleuchter aus schwerem Messing und die kostbar gestalteten Grabmäler und Seitenaltäre ringsum, die ablenkten. Selbst in dieser vermeintlich ärmeren Gegend der Dreistädtestadt am Pregel erschien ihr alles sehr prächtig.
»Lass uns mit Lina in den Grünen Baum zurückgehen«, bat Carlotta, kaum dass der Pfarrer das Hochamt mit dem Segenswunsch beendet hatte und die Gemeinde das Auszugslied anstimmte.
Carlottas Vorschlag beunruhigte Magdalena. Wieder einmal hatte sie über den eigenen Grübeleien den Gemütszustand ihrer Tochter aus den Augen verloren. Rasch gelobte sie Besserung. »Lass uns noch ein wenig durch die Straßen schlendern. Der Tag ist wie geschaffen, die Heimat unserer Vorfahren zu erkunden. Das wird uns auf andere Gedanken bringen. In der Altstadt befinden sich das kurfürstliche Schloss sowie der große Teich. Auch das Rathaus soll beeindruckend sein. Gestern erst warst du so begeistert davon, wie schön man hier baut. Schau, selbst hier auf dem Sackheim, wo die einfacheren Leute sowie Polen und Litauer wohnen, stehen viele Häuser aus Stein.«
»Im Ratsherrengarten der Altstadt gibt es sonntags Spiele«, merkte Lina schüchtern an. »Wenn die Damen sich standesgemäß verlustieren möchten, sind sie dort richtig. Auch rund um den Steindamm und Tragheim gibt es dergleichen Vergnügen.«
»Danke, Lina, wir werden sehen, wie weit wir kommen.« Noch ehe Carlotta widersprechen konnte, schickte Magdalena Lina allein zum Gasthaus zurück und zog die Tochter in die entgegengesetzte Richtung. Sie sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, wie sehr sie selbst die Ablenkung nötig hatte.
»Dir geht es doch gar nicht darum, all diese Gebäude und Sehenswürdigkeiten anzuschauen oder die Gärten kennenzulernen«, begann Carlotta, kaum dass die Magd außer Hörweite war. »Du willst nur nicht zu unserer Wirtin zurück.«
»Pass doch auf!« Ein dickbauchiger Mann drängte sich an ihr vorbei über den Vorplatz der Kirche. In seinem Gefolge trippelten eine dürre Frau sowie ein halbes Dutzend Kinder im Sonntagsstaat. Magdalena wartete ab, bis die Familie an ihnen vorbeimarschiert war, bevor sie antwortete. »Ja, du hast recht. Mir ist die Wirtin nicht geheuer. Ich überlege, ob wir uns ab morgen nicht besser ein anderes Quartier suchen.«
Als wollte sie schon jetzt damit beginnen, wanderte ihr Blick über die Gebäude. Die Häuser wirkten auf dieser Seite des Neuen Pregels zwar bei weitem nicht so reich wie in der Kneiphofer Langgasse, dennoch verrieten auch sie einigen Wohlstand. Mehrere Wagen mit Ausflüglern fuhren vorbei. Hier im Osten der drei Kernstädte Königsbergs mussten die Orte mit den Gärten liegen, die Lina ihnen vorhin zum Vergnügen empfohlen hatte. Neugierig sah Magdalena den Wagen nach. Nicht weit prangte an einem größeren Gebäude das Schild eines Gasthauses.
»Was ist mit dem Geld, das du der Wirtin bereits gegeben hast? Ich glaube nicht, dass sie das wieder rausrückt, wenn wir vorzeitig ausziehen.« Die Dreizehnjährige war Magdalenas Blick gefolgt und verharrte ebenfalls in der Betrachtung des Gasthauses. »Abgesehen davon ist das Zimmer sehr schön und das Essen reichlich und bekömmlich. Wer weiß, ob wir es so schnell wieder so gut treffen.«
»Wie du meinst, mein Kind.« Magdalena seufzte. »Dann lass uns den heutigen Tag aber endlich nutzen, uns in diesem Teil der Stadt umzusehen.«
»Ich hoffe nur, wir verlaufen uns nicht und finden auch ohne die Magd wieder zurück.« Widerwillig folgte Carlotta ihrer Mutter den langen Weg durch die Straßen des Sackheims westwärts hinüber in den Löbenicht. Sie kamen an den gewaltigen Häusern der Malzbräuer vorbei, wie Inschriften und Schilder verrieten. Endlich gelangten sie durch ein Tor hinüber in die Altstadt. Bald erreichten sie den langgestreckten Markt, über den die wohlhabenden Bürger in ihren besten Roben flanierten. Seiden- und Brokatstoffe in hellen, leuchtenden Farben dominierten bei den Damen, die Herren trugen gehäuft die weiten Rheingrafenhosen mit bunten Schluppen zur Verzierung. Unwillkürlich zog Magdalena das schlichte Tuch über der Brust zusammen. Das Reisekleid aus hellgrünem Taft, das ihr
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