Hexengold
weiches Lager. Schür in einem Kessel das Feuer, Hermann, damit es warm wird. Bring mir außerdem Kerzen und Lampen, so viele gerade greifbar sind.« Sie überlegte einen Moment, dann hob sie den Kopf des Verwundeten an und drehte ihn leicht zur Seite, um die Wunde besser in Augenschein nehmen zu können. »Ich muss nähen.«
Carlotta von der Apothekerin Petersen zu holen würde zu lange dauern. Allein aber schaffte sie den Eingriff nicht. Die Wunde war recht großflächig und außerdem stark verschmutzt. Sie brauchte jemanden, der bei solchen Operationen hilfreich zur Hand gehen konnte oder zumindest über Kenntnisse im Umgang mit Rezepturen und Heilmitteln verfügte. Es blieb ihr keine Wahl, die Zeit der Geheimniskrämerei war vorbei. »Ruft mir die Steinackerin«, ordnete sie laut an. »Schnell! Oben in ihrer Kammer wird sie sein. Sie allein kann mir jetzt helfen.«
7
Jedes Mal, wenn Carlotta das Laboratorium von Apotheker Petersen besuchte, fühlte sie sich wie im Paradies. Verzückt wanderte ihr Blick durch den langgestreckten Raum. Bis hoch unter die Decke zogen sich die Regale mit Schraubgläsern, Tonkrügen, Kisten und Schubladen. Waagen und Gewichte in den kleinsten Einheiten fanden sich dazwischen. In einer Ecke stapelten sich kleinere und größere Säcke, in denen Gewürze wie Pfeffer und Muskatnüsse, aber auch die begehrten venezianischen Kaffeebohnen und weitere exotische Köstlichkeiten lagerten. Ein mit Stroh ausgepolsterter Korb enthielt mehrere dickbauchige Glasgefäße. Vor dem linken Regal zog sich eine Stange, an der kopfüber Büschel von Minze, Lavendel, Rosmarin und Thymian zum Trocknen hingen. Der intensive Geruch stieg einem sogleich in die Nase.
»Bist du zum Träumen gekommen?« Die Apothekerin rüttelte sie am Arm.
»Oh, entschuldigt«, stammelte Carlotta und spürte die Röte in den Wangen aufsteigen. »Womit kann ich Euch heute zur Hand gehen?« Rasch griff sie nach der Schürze, die hinter der Tür hing, und band sie sich um. Ihr rotblonder Lockenschopf war bereits unter einem streng gebundenen Kopftuch verborgen. Die Apothekerleute mochten es nicht, wenn sie unbedeckt in die Offizin kam. Rasch krempelte sie die Ärmel des Kleides hoch und sah sich erwartungsvoll um. Apotheker Petersen stand mit dem Rücken zu ihr an einem langen Tisch, der vor dem Fenster an der Schmalseite des Laboratoriums verlief. Destillierkolben in verschiedenen Größen, mehrere Glaskolben und kleinere Phiolen waren dort aufgereiht. Eifrig hantierte er mit den Gefäßen, goss eine rötliche Flüssigkeit immer wieder hin und her.
»Ist Euer Herr Gemahl wieder mit seinem berühmten Theriak zugange?« Carlottas Stimme zitterte vor Aufregung.
»Da würdest du ihm wohl gern über die Schultern schauen?« Milde lächelte die Petersen, schob sie allerdings nicht in Richtung ihres emsig werkelnden Gatten. Schon befürchtete Carlotta, sie überlegte es sich anders und betraute sie mit der Aufsicht über die Kinder oben in der Wohnstube. Oft schon hatte sie bei den Jüngsten Windeln wechseln müssen, statt hier unten Salben anrühren oder vorn im Verkaufsraum aushelfen zu dürfen. Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicher, als wenigstens ein Mal bei der Herstellung von Petersens berühmter Arznei zugegen zu sein. Immerhin war er weit über Frankfurts Stadtgrenzen hinaus dafür bekannt, den Theriak aus über einhundert Ingredienzen zu bereiten. Einige davon führte er zwar auf einer Tafel in seiner Offizin auf, über die meisten aber bewahrte er Stillschweigen und pries seine Version der Arznei als die einzig wirksame an.
»Seit Generationen ist es ein Familiengeheimnis, wie wir den Theriak mischen. Darum wird er dich nie dazu einladen, zuzuschauen. Selbst ich darf bis heute nicht dabei sein.« Die Petersen lächelte noch immer. »Gräm dich nicht, mein Kind, du kannst nicht jedes Geheimnis entschlüsseln. Dafür gibt es heute etwas anderes, was mein Mann dir zeigen will. Geh nur zu ihm, schließlich hat er extra nach dir geschickt!«
Im Verkaufsraum läutete die Ladenglocke. »Mutter, schaust du mal?« Der Älteste der Söhne streckte den Kopf zur Tür herein. »Ich brauche deine Hilfe.«
Hastig verabschiedete sich die Apothekerin. Auch wenn Carlotta des Theriaks wegen enttäuscht war, so trieb sie die Neugier dennoch zu dem weißhaarigen Mann, der nun versunken vor seinen Gefäßen stand.
Er sah nicht einmal auf, als sie ihn erreichte. »Sieh nur, Carlotta«, wie immer hielt er sich nicht mit
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