Hexengold
vor Aufregung von roten Flecken übersät. »Unten im Hof, schnell. Oh Gott, Herrin, es ist furchtbar!«
Die Verwirrung des sonst so scheuen Mädchens verhieß nichts Gutes. Sofort eilte Magdalena nach unten. Im Hof herrschte helle Aufregung. Lautes Schreien und Jammern hallte in dem ummauerten Geviert wider. Hermann schrie den beiden Knechten und den zum Abladen angeheuerten Tagelöhnern seine Befehle mit zum Trichter geformten Händen zu. Der Hund kläffte, das Federvieh gackerte. Am liebsten hätte Magdalena sich die Ohren zugehalten. Gleichzeitig versuchte sie, sich einen Überblick zu verschaffen. Dazu reckte und streckte sie sich, doch das Fuhrwerk, das quer im Hof stand, verstellte ihr die Sicht.
Der Fuhrmann hatte alle Hände voll zu tun, seine beiden Zugpferde im Zaum zu halten. Sie scharrten mit den Hufen, schnaubten und fletschten die Zähne. Der Braune mit der hellen Mähne rollte zudem bedrohlich die Augen, dass das Weiß darin sichtbar wurde. Magdalena beschloss, einen weiten Bogen um ihn zu schlagen. Offenbar befand sich der Grund des Aufruhrs hinter dem halb entladenen Wagen. Sie musste über einige bereits abgeladene Säcke klettern und einen kleinen Turm mit Kisten umgehen.
Endlich drang Magdalena zum Grund des Aufruhrs vor: Einer der Tagelöhner lag reglos am Boden. Hermann wies die anderen Männer an, Platz zu schaffen. Heftig schluchzend stand Renata, die zweite Magd, daneben. Offensichtlich handelte es sich um ihren Liebsten. Sie war unfähig, sich von der Stelle zu rühren. Magdalena nickte ihr zu, dann wandte sie sich dem Verwundeten zu und kniete sich neben ihm nieder.
Es sah nicht gut für ihn aus. Er lag auf dem Rücken. Um den Schädel hatte sich bereits eine Blutlache gebildet, die sich stetig vergrößerte. Der Grund musste eine Wunde am Hinterkopf sein, verursacht durch einen harten Gegenstand. Kurz sah Magdalena an der Fassade des Lagerhauses entlang nach oben. Gleich fand sie ihre Vermutung bestätigt: Der Ausleger des Flaschenzugs am Giebel des Lagerhauses war entzweigebrochen. Die Eisenrollen des Flaschenzugs waren abgerissen und heruntergestürzt. Dabei hatten sie den Mann am Hinterkopf getroffen. Von der Wucht des Schlags war er zu Boden gegangen. Gleichzeitig war ein schwerer Sack Getreide auf ihn gefallen.
Erschüttert biss sich Magdalena auf die Lippen. Vor einigen Tagen schon hatte Hermann darauf hingewiesen, dass die Apparatur überprüft werden musste. Um solche Dinge hatte sich Vinzent gekümmert. Schlimm genug, dass erst ein solches Unglück passieren musste, um Eric an seine neue Verantwortung zu erinnern. Magdalena fasste an den Bernstein, der gut verborgen unter ihrem Mieder hing, und erspürte seine Kraft. Gestärkt wandte sie sich dem Verwundeten zu.
Jemand hatte den Getreidesack vom Oberkörper des Mannes gerollt. Außer der Platzwunde am Hinterkopf hatte der Mann vor allem Rippenbrüche erlitten. Erleichtert stellte sie fest, dass es schlimmer aussah, als es war. Dem Mann selbst ersparte die Bewusstlosigkeit die ärgsten Schmerzen.
»Holt mir meine Instrumentenkiste aus dem Kontor«, wandte sich Magdalena an den Erstbesten, der neben ihr stand, und vertraute darauf, dass er wusste, was sie meinte. Im Zweifelsfall würde Eric Bescheid wissen. Dem Verletzten schuldete sie, bei der Behandlung einen ihrer größten Schätze zu verwenden. Immerhin hatte Erics Versäumnis mit dem Flaschenzug sein Unglück verursacht. »Ganz wichtig ist ein kleiner Tontiegel mit Salbe«, wies sie den Boten deshalb weiter an. »Er steht direkt neben der Kiste im selben Schrankfach des Kontors, fernab von den anderen Tiegeln und Gläsern. Den musst du mir unbedingt bringen. Aber Vorsicht, dass du ihn nicht zerbrichst. Er ist sehr wertvoll und nicht zu ersetzen!« Sie hielt inne. Ungern wusste sie die Finger eines anderen an diesem gut behüteten Töpfchen. Darin befand sich die Wundersalbe ihres Lehrmeisters, Meister Johann. Gut fünfzig Jahre war sie alt, stammte noch von dessen einstigem Lehrherrn und enthielt mehr als ein Dutzend geheimnisvoller Ingredienzen. Stets hatte Meister Johann ein großes Geheimnis darum gemacht. Deshalb hütete sie den Tiegel wie ihren Augapfel und wandte die Salbe nur in äußersten Notfällen an. Bis der letzte Tropfen verbraucht war, hoffte sie, die Zusammensetzung endlich ergründet zu haben.
»Ich brauche Decken und Kissen, auch eine Trage.« Rasch glitt ihr Blick über den Bewusstlosen. »Am besten, wir richten ihm drüben in der Werkstatt ein
Weitere Kostenlose Bücher