Hexengold
einfach so gegeben, damit ich ihn Vater als Wahrer von Onkel Vinzents Erbe aushändige.«
»Carlotta!« Streng fasste Magdalena sie am Kinn und zog ihr Gesicht zu sich. »Sei ehrlich!«
»Das bin ich doch!« Carlotta sah auf ihre Fußspitzen. Sie musste sich rasch etwas einfallen lassen. Trotzig hob sie den Kopf, überwand sich, ihre Mutter anzuschauen, und erklärte: »Also gut. Unlängst hat er mir gezeigt, was Bernstein alles bewirken kann. Man kann ein Öl aus zerstoßenem Bernstein gewinnen und es als Heilmittel in Tropfenform verabreichen.« Abermals richtete sie die Augen zu Boden. Ihr wurde entsetzlich heiß. Ein Spiegel war nicht nötig, um ihr zu zeigen, dass ihr Gesicht längst dunkelrot angelaufen war. Selbst die Ohrläppchen glühten. Mühsam schluckte sie Tränen der Scham und Verzweiflung hinunter. Hilfesuchend blinzelte sie zu ihrem Vater, doch dessen Gesicht blieb verschlossen.
»Das ist noch immer nicht alles.« Magdalena ließ nicht locker. »Sagst du es selbst oder soll ich dir helfen?«
Es hatte keinen Zweck. Sie wusste es. Unter den langen, rotblonden Wimpern spähte Carlotta zu ihrer Tante. Deren Mimik verriet nichts. Nur zu dumm, dass sie Carlotta letztens auf frischer Tat ertappt hatte. Es war nicht zu erkennen, ob sie der Mutter davon erzählt oder ob die es allein herausgefunden hatte. Carlotta biss sich auf die Lippen. Wie töricht von ihr, zu hoffen, es fiele ihrer Mutter nicht auf, wenn sie Doktor Petersen eine Probe von der Salbe brachte. Magdalena wusste stets genau, wie viel sich im Tiegel befinden musste.
»Ich wollte einfach nur herausfinden, welche Bestandteile in der Salbe enthalten sind. Du sagst doch selbst, wie gern du es wüsstest. Meister Johann hat es dir leider nicht verraten. Ist die Salbe aufgebraucht, kannst du keine neue mehr herstellen.« Scheu suchte sie Magdalenas Blick. Ihr Herz klopfte heftig. Ihre Mutter aber rührte sich nicht, ihr Vater und ihre Tante sahen sie vorwurfsvoll an.
Eine Weile rang Carlotta mit sich. Auf einmal brach es wütend aus ihr hervor: »Was fällt euch eigentlich ein? Ihr lügt und betrügt euch immerzu gegenseitig. Tante Adelaide bedient sich heimlich an den duftenden Ölen in Mutters Wundarztkiste, Vater hat irgendwelche Vettern, die keine echten sind, Mutter besitzt einen zweiten Bernstein, von dem sie niemandem etwas sagt. Und das wird noch lange nicht alles sein. Was nehmt ihr Erwachsenen euch eigentlich heraus? Warum dürft ihr solche Geheimnisse haben? Wir Kinder aber müssen euch alles sagen. Uns gönnt ihr keine Geheimnisse, nicht einmal die guten. Dabei lügt ihr euch ständig gegenseitig an und erzählt euch – wenn überhaupt – nur die halbe Wahrheit!«
Wütend stampfte sie aus der Wohnstube. Das Knallen der Tür hallte durch das ganze Haus.
11
Pünktlich zum Tag der heiligen Barbara setzte der erste Frost ein. Hedwig zeigte sich zufrieden, dass sich die Natur an die altvertrauten Regeln hielt. Ihre Wangen glühten, als sie mit einem Bündel frisch geschnittener Kirschzweige in der einen und einer Vase in der anderen Hand die dämmrige Stube betrat, in der nur ein Talglicht auf dem Tisch brannte. Magdalena saß dort, vor sich die sorgfältig beschriebenen Seiten des Haushaltsbuchs, und sah ihr erwartungsvoll entgegen.
»Habe ich es Euch nicht gesagt, Herrin? Barbara im weißen Kleid verkündet gute Sommerzeit.« Geschäftig sortierte Hedwig die Zweige in der Vase und plazierte sie mitten auf dem Tisch.
»Nur Geduld! Bis zum Sommer ist es noch eine ganze Weile hin. Der Winter hat doch gerade erst begonnen.« Magdalena fuhr mehrmals mit der flachen Hand über die Seiten des aufgeschlagenen Haushaltsbuchs, um sie zu glätten. Die Zahlen darin stimmten sie nachdenklich. Eigentlich hatte sie nachher zur Schwanenapotheke gehen und einige Vorräte kaufen wollen. Das aber strich sie besser aus dem Tagesprogramm. Andere Ausgaben waren wichtiger.
Hedwig nahm kaum wahr, was Magdalena sagte, und redete weiter: »Heute Nacht gab es den ersten Frost. Hermann hat vorhin das Eis auf den Kübeln zerschlagen. Fingerdick ist es gewesen. Falls Ihr über den Hof geht, passt gut auf. Renata war so töricht, die Waschschüssel aufs Pflaster zu schütten. Das Wasser ist sofort gefroren. Gott bewahre uns vor gebrochenen Beinen und dergleichen! Der Unfall mit dem Flaschenzug letztens hat gereicht. Ich habe der dummen Gans bereits die gerechte Strafe erteilt.« Sie wiegte die Hand, um zu zeigen, wie kräftig sie zugeschlagen hatte. »Jetzt
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