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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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eigentlich eine Tätigkeit, für die du kein Talent hast?« Unvermittelt stand Mathias vor ihr. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Sein Talent, sich auf leisen Sohlen zu bewegen und an unerwarteten Orten zu den unmöglichsten Zeiten aufzutauchen, vervollkommnete sich stetig.
    »Was willst du in der Küche?« Erstaunt sah sie auf. »Soll ich ins Kontor kommen und dir unauffällig beim Rechnen aus der Patsche helfen? Hier, nimm den Lappen, ich tausche gern!«
    Sie sprang auf. Mathias rührte sich nicht von der Stelle. Die übliche Verlegenheit, wenn er ihr gegenüber sein Scheitern gestand, blieb aus. Stattdessen verzog sich sein schmallippiger Mund unter der gewaltigen Nase zu einem Lächeln. »Du wirst es nicht glauben, aber ich bin für heute fertig«, sagte er und strich sich das glatte, kinnlange Haar zurück.
    »So früh? Es geschehen wohl noch Zeichen und Wunder.« Missvergnügt griff sie nach dem Lappen und wollte die Arbeit fortsetzen. Er aber fasste sie am Handgelenk. »Wenn du mir versprichst, nachher mitzukommen, helfe ich zur Abwechslung mal bei dir in der Küche.«
    »Was?« Gern ging sie auf den überraschenden Vorschlag ein. »Hier, nimm den Lappen, tränke ihn ordentlich mit dem Gemisch aus dem kleinen Topf, und dann immer kräftig reiben und pusten und noch einmal reiben. Bis das Kupfer blitzt und blinkt.«
    Erstaunlicherweise begriff Mathias das rasch. Schweigend saßen sie nebeneinander, polierten die Töpfe und lauschten dem zaghaften Vogelgezwitscher vor dem Fenster, das ab und an von Hermanns barschen Anweisungen an die Lagerarbeiter unterbrochen wurde.
    Dank Mathias’ Unterstützung dauerte es nicht lang, bis der Polierauftrag erledigt war. Erleichtert räumte Carlotta die Kessel und Pfannen auf das Wandbord. Mathias half ihr, sie der Größe nach zu sortieren.
    »Wohin soll es gehen?« Carlotta warf einen Blick zur Kellertür. Sie beschloss, sich nicht darum zu kümmern, wie schnell Hedwig von ihrem unerlaubten Verschwinden erfuhr. Die Arbeit war gemacht, das allein zählte.
    »Lass dich überraschen.« Vergnügt zwinkerte Mathias ihr zu. Zum ersten Mal, seit er bei ihnen lebte, empfand sie so etwas wie Freude über seine Gegenwart. Gern nahm sie seine Hand und rannte mit ihm hinaus, quer über den Hof zur Hintertür zwischen Scheune und Lagerhaus. Dort erreichten sie eine kaum mehr als eine Elle breite Gasse zwischen den rückwärtigen Hauswänden der Fahrgasse. Der modrige Geruch nahm Carlotta den Atem. Angewidert verdrängte sie den Gedanken, wie viele Nachttöpfe aus den Gesindekammern verbotenerweise hinten entleert wurden. Sie wich den größten Pfützen aus und schlängelte sich hinter Mathias entlang. Bald gelangten sie zu einem fauligen Holztor.
    »Habe ich dir zu viel versprochen?« Mathias stieß es mit dem Fuß auf und ließ ihr den Vortritt. Voller Verwunderung fand sie sich in einem kleinen Obstgarten wieder. An den kahlen Zweigen zeigten sich die ersten Knospen. Gelb und braun bedeckte das Stroh des letzten Jahres den Boden. Dazwischen blitzten erste Frühlingsblumen neugierig aus der Erde. Carlotta versuchte, an der rückseitigen Hauswand zu erkennen, zu welchem Anwesen der Garten gehörte. Es handelte sich um ein bis in die oberen Geschosse gemauertes Gebäude und zählte damit sicherlich zum Besitz eines wohlhabenden Bürgers.
    »Was ist, wenn uns jemand sieht?« Zunächst schreckte sie davor zurück, den Hof zu durchqueren. Dann siegte ihre Unternehmungslust, und sie stolzierte hoch erhobenen Kopfes mitten durch das Anwesen. Als eine Magd aus dem Hühnerstall trat, nickte sie grüßend und marschierte frech an ihr vorbei zum Hoftor hinaus auf die Straße.
    »Du kennst wohl keine Angst«, bemerkte Mathias voller Bewunderung, als er sie draußen wieder einholte.
    »Wenn du schon durch fremde Gärten willst, solltest du so viel Courage besitzen, aufrecht durchzugehen.« Grinsend musterte sie ihn von oben bis unten. Das Herumschleichen im Gebüsch hatte seine Jacke beschmutzt. Sie reckte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einige Zweige aus dem Haar zu zupfen. Dabei spürte sie seinen heißen Atem am Hals. So nah waren sie einander noch nie gewesen. Verwundert sah sie ihm in die dunklen Augen.
    Auch er schien einen Moment verwirrt. Dann beugte er sich vor und spitzte den Mund. Noch bevor ihr klar wurde, dass er es wagte, sie mitten auf der Straße zu küssen, stieß ihn ein vorbeieilender Händler von hinten an. Mathias stolperte zur Seite. »He, pass doch auf!«, brauste er auf

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