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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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wisperte ihr ins Ohr. »Was ist schon dabei? Deine Eltern tun es auch ständig. Sogar am helllichten Tag, mitten im Kontor, wenn sie denken, es kriegt keiner mit. Also kann es nichts Schlimmes sein. Je weniger du dich wehrst, desto schneller ist es vorbei.«
    »Hör auf, du widerlicher Kerl!« Sie stemmte die Hände gegen seine Brust. »Ich sage es deiner Mutter.«
    »Nur zu. Dann erzähl ich ihr, wie sehr du darauf gebrannt hast, mitzukommen. Das wird deinen Vater bestimmt auch interessieren.«
    Er presste sie noch fester gegen seinen Körper und begann mit den Hüften seltsame Bewegungen zu machen, wollte sie gegen die Wand schieben und unter ihren Rock fassen. Sie kniff und versuchte zu kratzen, konnte sich aber nicht weit genug bewegen. Schreien würde nichts nutzen. Schließlich stand Hannes vor dem Haus und passte auf, dass niemand kam. Gewiss würde er jedem, der ihr Schreien hörte, eine wilde Geschichte erzählen und ihn vertreiben. Plötzlich graute ihr vor dem Gedanken, dass er für seine Dienste kein Geld hatte haben wollen. Das konnte nur bedeuten, dass er sich nachher einen ganz anderen Lohn von Mathias – oder vielmehr von ihr – erhoffte.
    Furcht und Entsetzen verliehen ihr ungeahnte Kräfte. Es gelang ihr, das rechte Knie hochzuziehen und fest zuzustoßen, zwischen Mathias’ Beine, mitten in seine empfindlichste Körperpartie. Vor Schmerz johlte er auf, ließ sie los und krümmte sich.
    »Versuch dein Glück lieber bei einer anderen.« Voller Wut trat sie ihm zum Abschluss noch in die Seite. Davon ging er endgültig zu Boden. Rasch bückte sie sich, nahm das Päckchen und rannte davon.
    »He, Kleine, warum so eilig?« Wie sie befürchtet hatte, lauerte Hannes vor dem Eingang. Von Angesicht zu Angesicht wirkte er noch dreckiger. Schon wollte er sie am Arm fassen und festhalten. Noch aber hatte sie genug Wut im Bauch, ihn kraftvoll fortzustoßen. Verdutzt torkelte er nach hinten.
    »Vergiss die fünf Kreuzer nicht, die Mathias dir schuldet!«, rief sie und stürmte davon. So schnell war sie noch nie von der Sandgasse über Römer und Markt zum Domplatz und schließlich nach Hause gelangt.
    »Wo kommst du her?« Gerade wollte sie die Haustür leise schließen und nach oben schleichen, da fasste ihr Vater sie an den Schultern.
    »Wie siehst du denn aus?« Vorwurfsvoll glitt sein Blick an ihr herunter. Angestrengt versuchte sie zu antworten, bekam allerdings nicht genug Luft zum Sprechen. Die rotblonden Locken hingen wirr auf ihre Schultern. Sie trug weder ein Kopftuch noch einen Umhang. An ihrem Kleid zeichneten sich weiße Spuren von Kalk und Mörtel ab. Auch die Schuhe waren dreckverkrustet. Mehrmals rang sie nach Atem.
    »Was hast du da?« Schon hatte Eric das Päckchen in ihrer linken Hand entdeckt. Sie war zu überrascht, sich zu widersetzen, als er es ihr abnahm.
    »Das habe ich gefunden«, erklärte sie matt, sobald sie wieder genug Luft zum Reden hatte.
    »Komm mit!« Mit diesen Worten schob er sie sanft, aber bestimmt ins leere Kontor.
    »Das hast du aus Onkel Vinzents Haus in der Sandgasse, nicht wahr?«, fragte er drinnen.
    Stumm nickte sie und sah zu, wie er die Schnur von dem Päckchen wickelte, das Papier auseinanderfaltete und die einzelnen Bögen glattstrich. Es handelte sich um Briefe und Aufzeichnungen. Feuchtigkeit und Alter hatten dem Papier arg zugesetzt. Die Tinte, mit der es einst beschrieben worden war, war reichlich verblasst, aber noch lesbar. Die Augen ihres Vaters leuchteten, als er die Schrift erkannte. Sichtlich aufgewühlt begann er zu lesen, bewegte lautlos die Lippen, formte Wort für Wort nach. Als er alles ein zweites Mal gelesen hatte, faltete er die Seiten wieder zusammen.
    »Carlotta, du bist ein Schatz!« Er riss sie vom Stuhl, umarmte und herzte sie, wie sie es lange nicht mehr erlebt hatte. Ein kurzes Zucken hieß ihn allerdings viel zu schnell, davon zu lassen. Seine Hand fuhr auf die Brust und strich darüber. Dort befand sich die Narbe, an der er im letzten Herbst abermals verletzt worden war. Sobald er ihren Blick bemerkte, zwang er sich zu einem Lächeln und küsste sie auf die Nasenspitze.
    »Das Päckchen bleibt unser Geheimnis. Versprich mir, der Mutter und vor allem auch Tante Adelaide nichts davon zu erzählen.« Eindringlich sah er sie an. »Weiß sonst noch jemand davon? War jemand dabei, als du es gefunden hast?«
    Sie überlegte hastig, wie sie ihm erklären sollte, was in der Sandgasse Ungeheuerliches geschehen war. Voller Scham glühte ihr

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