Hexengold
und fuhr wütend herum. Erleichtert atmete Carlotta auf. Gleichzeitig ärgerte sie sich, dass sie so schwer von Begriff gewesen war. Gleich hätte sie ausholen und ihm eine Ohrfeige verpassen müssen!
»Und wohin jetzt?«, fragte sie eine Spur zu keck, um die Verlegenheit zu überspielen. »Wollen wir zur Judengasse?«
»Was willst du da?« Er zog die rechte Augenbraue hoch, eine Geste, die er sich von seiner Mutter abgeschaut hatte.
»Zu den Buchhändlern natürlich.« Carlotta tat gleichgültig, dabei brannte sie darauf, dorthin zu gehen, hatte sie doch sogar einige Münzen in einer geheimen Tasche am Rockbund versteckt.
»Du immer mit deinen Büchern. Hast du nichts anderes im Kopf? Ich weiß was viel Besseres.«
»Dann steh nicht länger rum, sondern bring mich endlich dorthin!«
Wieder nahm er sie an der Hand und führte sie durch den nachmittäglichen Trubel auf dem Domplatz. Sie musste sich anstrengen, Schritt zu halten. Nach einiger Zeit ahnte sie, wohin er sie brachte: zu seinem Elternhaus in der Sandgasse.
Von dem einst vertrauten Anblick war wenig übrig geblieben: Das Grundstück entpuppte sich als eine einzige Baustelle. Die oberen Fachwerkgeschosse waren vollständig abgetragen, lediglich das gemauerte Erdgeschoss stand noch, gegen die Launen des Frühlingswetters notdürftig abgeschirmt durch den Dielenboden des ersten Stockwerks. Fenster und Türen fehlten, schwarz und leer gähnten die Öffnungen. Zum Wohnen einnisten würde sich dort niemand. Das Wetter war noch zu unwirtlich, es in einer solch zugigen Behausung auszuhalten. Durch die Schuttberge ringsumher machte das Gemäuer wahrlich keinen einladenden Eindruck.
»Euer altes Haus hat den neuen Besitzern wohl nicht gefallen«, stellte Carlotta fest. »Das tut mir leid. Weiß deine Mutter schon davon?«
»Mach dir keine Sorgen. So wichtig war ihr das Haus nie.« Mathias tat gelassen. Trotzdem spürte sie, wie nah ihm der Verlust ging. Sacht berührte sie ihn am Arm und versuchte, aufmunternd zu lächeln.
»Das ist nicht alles, was ich dir zeigen will.« Er sah sich kurz um, ob jemand auf ihn achtete, dann eilte er durch den Hofeingang auf das Grundstück. »Komm schon, hier hinten ist niemand«, rief er.
Im Hof sah es nicht besser aus als auf der Straßenseite. Auch hier lag überall Schutt. Hie und da ragte ein zersplitterter Balken auf. Alles war von Feuchtigkeit durchdrungen, daran hatten auch die ersten warmen Märztage nichts geändert. Offenbar war noch niemand auf die Idee verfallen, die Reste nach Verwertbarem zu durchsuchen. Dabei waren sie eine wahre Fundgrube für Plünderer. Gleich auf den ersten Blick entdeckte Carlotta eine geschnitzte Truhe, einen Stuhl mit zwei abgeschlagenen Beinen sowie einige verbeulte Kochtöpfe. Unter den Steinen musste noch mehr brauchbarer Hausrat liegen. Kurz durchzuckten sie vage Bilder aus anderen Zeiten. Als kleines Mädchen hatte sie ähnliche Verwüstungen gesehen. Genaueres wusste sie allerdings nur aus den Erzählungen ihrer Mutter. »Gewiss gibt es hier jemanden, der die Reste bewacht«, stellte sie fest und sah sich um.
Ein Schatten huschte über Mathias’ Gesicht. Der Gedanke war ihm noch nicht gekommen. Vorsichtig beugte er sich über einen schmalen Schrank. »Das war Emmas Küchenbord.« Er schüttelte nun doch traurig den Kopf. Als Carlotta ihm tröstend die Hand auf die Schulter legte, schob er sie weg und richtete sich wieder auf. »Mutter wollte das ohnehin alles erneuern lassen. Komm mit, da hinten gibt es etwas viel Besseres!«
Er führte sie zum Hinterhaus, das dem Abbruch entgangen war. Die Tür öffnete sich unter einem lauten Knirschen. Carlottas Herz klopfte schneller.
»Keine Angst. Wer auch immer für die Bewachung verantwortlich ist, gönnt sich einen freien Tag. Heute früh war ich schon mal da und habe niemanden gesehen.«
Dass Mathias zu spüren schien, wie sie sich fühlte, ärgerte Carlotta. »Warum sollte ich mich fürchten? Wenn man uns beobachtet hätte, hätte man uns längst fortgejagt.«
»He, ihr zwei! Was macht ihr da?« Eine verärgerte Männerstimme tönte herüber. Erschrocken fassten sie einander an den Händen. Hinter der brusthohen Mauer zum Nachbarhof ragte eine vierschrötige Gestalt auf und schwang drohend eine Holzlatte. Der kahle Schädel zeigte sich ungeschützt der vorwitzigen Märzsonne. Der zahnlose Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Da schau an: der junge Herr Mathias! Ist nicht mehr viel übrig von eurem schönen Haus,
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