Hexenhatz im Monsterland
so schnell, mein Horn glänzt so sehr in der Mittagssonne, daß Mutter Ducks Zaubersprüche von mir abprallen und keinen Schaden anrichten können.«
»In der Tat?« Wuntvor fragte sich, ob ihm diese Information eines Tages von Nutzen sein könnte.
»Sicher doch«, murmelte das wundersame Wesen stolz. »Warum, denkst du wohl, tauchen so wenig Einhörner in Märchen auf? Mutter Duck kann eben nicht einsetzen, was sie nicht zu fassen bekommt.«
»Also hat Norei…«, setzte Wuntvor an.
»Norei, Norei, immer nur Norei!« klagte das Einhorn lauthals. Dann schwieg es, und sein schimmerndes Horn senkte sich anmutig resignierend dem laubbedeckten Waldboden entgegen. »Nein, ist schon in Ordnung. Verzeih mir meinen Ausbruch. Jetzt bin ich wieder ich selbst. Was kann mir meine Sehnsucht schon nützen, außer ein besseres Geschöpf aus mir zu machen?« Wieder sah es Wuntvor aus tiefen, seelenvollen Augen an. »Denn was ist schon perfekte Schönheit ohne perfekten Schmerz?«
»Und Norei?« insistierte unser jugendlicher Held.
»Ja, ja, natürlich«, fuhr das Einhorn schnell fort. »Sie wird dich retten, selbstverständlich, wie könnte es auch anders sein, wenn du dich nur an die magischen Worte erinnerst. Aber…«
Das herrliche Wesen hielt erneut inne, und in seinen Augen schien Wuntvor die ganze Trauer dieser Welt entgegenzublicken.
»Möchtest du mir noch etwas anderes mitteilen?«
»Nun«, begann das wundersame Geschöpf zögernd, »ich dachte nur gerade… also, mein Kopf ist so schwer… und dein Schoß ist so nah… so einladend…« Das Einhorn erschauerte wollüstig. »Ich dachte nur, wo du doch im Moment nicht ganz bei dir bist, würde es vielleicht nicht weiter auffallen – schon gut. Ich darf ja wohl noch träumen, oder?«
»In der Tat«, entgegnete Wuntvor, der viel darum gegeben hätte, das Thema nun wechseln zu können. »Ich bin sicher, daß wir eine Art Kompromiß finden können, vorausgesetzt, ich fliehe nicht gerade um mein Leben – du liebe Güte, hast du je einen so großen Baum gesehen?«
Und in der Tat, ein riesiger Baum ragte vor ihren Füßen auf, und er war vielleicht zwanzigmal so dick wie seine Vettern. Und noch seltsamer: Dieser Baum war nicht von jenem dunklen Braun seiner Nachbarn, sondern leuchtete grün wie eine Sommerwiese.
»Das ist kein Baum«, stellte das Einhorn fest, »das ist eine Bohnenstange.«
»Eine Bohnenstange?« fragte unser Bursche ungläubig und ließ die ungewohnten Silben auf der Zunge zergehen. »In der Tat. Und was genau ist eine Bohnenstange?«
Das Einhorn sah den Burschen ungläubig an. »Du weißt doch sicher, wozu Bohnenstangen dienen. Sie bringen dich dahin, wo die Riesen wohnen.«
»Es war einmal!« rief unser Held überrascht aus, denn als er die Bohnenstange hinaufblickte, sah er etwas gewaltig Großes von oben auf ihn herniedersinken.
Eine unglaublich tiefe Stimme erklang aus den Wolken.
»Hoppla!« sagte sie.
Kapitel Neun
Sie ermahnen dich dauernd: ›Paß auf deine Füße auf!‹ Aber wenn du die ganze Zeit auf deine Füße aufpaßt, wie sollst du dann erkennen, wohin du gehst?
aus: – REFLEXIONEN ÜBER DIE LEHRJAHRE, von Wuntvor, Lehrling bei Ebenezum, dem größten Magier der Westlichen Königreiche (erscheint in Kürze)
Etwas näherte sich mit rapider Geschwindigkeit aus wolkigen Höhen. Etwas, so kam unser Held nicht umhin zu befürchten, das wesentlich schwerer als eine Ladung blonder Haare sein würde.
»Ich schlage vor, wir ziehen uns so rasch wie möglich in die Wälder zurück!« rief ihm das Einhorn aus den Wäldern heraus zu.
»Ich denke, mir muß mehr als das einfallen!« schrie Wuntvor. »Das ist der verdammte Riese, vor dem ich geflohen bin!«
Das Einhorn riskierte einen letzten Blick nach oben. »Nun, ich fürchte, daß dir dieser verdammte Riese verdammt schnell verdammt nahe sein wird.«
»In der Tat!« gellte Wuntvor, seine Schrittfrequenz mit wenig Anmut verdoppelnd. »Ich wünschte nur, ich hätte irgendeine Art von Versteck.«
»Gewährt!« quäkte ein dünnes, aber ausgesprochen munteres Stimmchen aus der Nähe.
Wuntvor kreischte, als sich eine Fallgrube unter ihm öffnete.
Unser Held schlug die Augen auf. Er konnte nichts sehen. Zögernd strich er sich die Haarmassen aus dem Gesicht. Er blickte auf massiven, hellgrauen Stein. Er richtete den Blick nach oben und entdeckte, daß er in eine Art Grube gefallen sein mußte, doch handelte es sich um eine gut beleuchtete und im übrigen auch saubere und
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