Hexenhatz im Monsterland
darüber nachzudenken, hatte ich mich nicht nur von den anderen, sondern offensichtlich auch aus Mutter Ducks Kontrollbereich weggewünscht. Aber wo war ich bloß gelandet?
Ich befand mich immer noch im Wald, vielleicht in einem anderen Teil der Östlichen Wälder. Es gab allerdings Unterschiede zu der Lichtung, auf der wir den Riesen getroffen hatten. Es war dunkler hier, die Bäume wuchsen höher und dichter, ihre Kronen vereinigten sich weiter über meinem Kopf, und der Schatten, den sie warfen, verhinderte, daß das Sonnenlicht auf den Waldboden hinabfiel. Ihre Rinde war dunkelgrau, besaßen fast den Farbton des Schattens, und für einen Moment befürchtete ich, daß ich mich an einen Ort ohne Farbe gewünscht hatte, der nur Nuancen von Schattengrau aufweisen konnte.
Ich legte den Kopf in den Nacken, so weit es mir möglich war, und versuchte, die Wipfel dieser monströsen Bäume zu erkennen. Und tatsächlich, weit über mir entdeckte ich kleine Flecken von leuchtendem Blau. Aber dieser Anblick tröstete mich nicht im geringsten, denn dort oben bemerkte ich noch etwas anderes.
Es war Spätsommer, und keiner dieser Bäume hatte Blätter. Die Zweige waren nackt, bewegten sich dort oben in einer sanften Brise und rieben sich mit leichtem Geklapper wie das von Knochen aneinander. Alle diese Bäume waren tot.
Die gleiche Brise traf mich mit unerwarteter Heftigkeit und blies mir die von Alea geliehenen blonden Haare vom Kopf. Ich ließ es geschehen. Der Riese hatte diese Verkleidung sofort durchschaut. Ich zog den Rock aus Sackleinen bis zu den Schultern hoch und hoffte, daß mich diese Extralage Stoff gegen die plötzlich einsetzende Kälte schützen würde.
Das alles gefiel mir nicht. Es wirkte zu vertraut. Ich war schon einmal in einem solchen Wald gewesen.
Dann vermeinte ich, ein leichtes Kichern aus dem Wind zu hören.
Ich drehte mich um und erspähte eine Gestalt in einer langen Robe zwischen den Bäumen. Noch bevor ich das Gesicht in den Schatten erkennen konnte, wußte ich, wen ich zu erwarten hatte: Die dunklen Augenhöhlen, das Grinsen des Totenschädels, die Hände, die wie gebleichte Knochen aussahen.
»Guten Tag«, ertönte die Grabesstimme von Tod, während das Gespenst näher kam. »Es ist schon eine Weile her, Ewiger Lehrling, seit wir zuletzt die Möglichkeit hatten, alleine miteinander zu sprechen.«
Ich bewahrte die Fassung, als Tod sich näherte. Er schien eher vom heulenden Wind vorwärts getragen zu schweben, als daß er wie gewöhnliche Sterbliche seine Füße benutzte.
Tod glaubte, daß an mir etwas Besonderes wäre. Deshalb nannte er mich ›Ewiger Lehrling‹, eine Seele, der es dauernd gelang, dem Zugriff von Tod zu entkommen, da sie immerfort in einer neuen Gestalt wiedergeboren wurde, eine Seele, deren Bestimmung es war, wahren Helden vielleicht ein wenig tolpatschig bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu helfen – und die dabei auf die Unterstützung verschiedenster Begleiter rechnen konnte.
Ich wußte nicht, ob an Tods Theorie etwas Wahres war, aber meine Ansichten zu diesem Thema schienen ohnehin niemanden zu interessieren. Tod war der Meinung, daß ich seinem Königreich in diversen vergangenen Zeiten des öfteren – zu oft in seinen Augen – entflohen war, und aus diesem Grunde war er gewillt, die festen Regeln für Leben und Tod ein wenig zu dehnen. Er wollte mich holen, sobald ich mich irgendwo allein befand.
Was jetzt eingetreten war. Alleine mit Tod, und noch nicht einmal mein feiges Schwert war bei mir, um mich zu beschützen.
Tod lächelte mich an und streckte mir freundschaftlich die Hand hin. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange ich auf diesen Augenblick gewartet habe – doch noch denjenigen zu besitzen, der für immer außerhalb meiner Reichweite zu sein schien!«
Er warf den Kopf in den Nacken und lachte, ein hoher, Gänsehaut erzeugender Laut, wie von Nachtvögeln, die mit gebrochenen Flügeln aus dem Himmel fallen.
»In der Tat«, antwortete ich und konzentrierte mich mit aller Macht darauf, daß meine Stimme nicht vor Furcht brach. Tod würde mich nun mit sich nehmen; sein Verlangen nach meiner Ewigen Lehrlingsseele hatte er bei meinen letzten beiden knapp geglückten Fluchten in reichlichem Maße kundgetan. Aber ich durfte den in mir tobenden Gefühlen nicht nachgeben, die drauf und dran waren, mir die Kehle zuzuschnüren und mein Herz zum Stillstand zu bringen. Vielleicht, so argumentierte mein Verstand, konnte ich Tod in ein Gespräch
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