Hexenheide
mit dem Haus passiert, wenn sie den Löffel abgibt, wahrscheinlich wird es dann ein Denkmal – oder es kommt ein Hotel rein, oder irgend so ein reicher Typ kauft es.«
»Und diese Frau sollst du malen?«
»Ja, schön, nicht? Sie hat alle ihre Vorfahren in Ölfarbe an der Wand hängen, und sie hat beschlossen, dass sie selbst als letzter Nachkömmling auch dazugehört. Um die Geschichte abzuschließen, würde ich mal sagen. Nach ihr kommt nichts mehr. Eigentlich richtig schade.« Marit geht zur Anrichte und trinkt schnell noch einen Schluck Kaffee. »Aber ich muss mich jetzt beeilen, denn bei so einer Dame darf man nicht unpünktlich sein.«
»Können wir mitkommen?«, fragt Lenne, die am Küchentisch sitzt und in einer Zeitschrift blättert.
»Nein.«
»Warum nicht? Wir langweilen uns! Du hast uns verboten, an den Computer zu gehen, und was sollen wir dann den ganzen Samstag machen?«
»Geht mal draußen spielen, es ist schönes Wetter.«
»Pfff«, macht Lenne.
»Lenne, das geht doch nicht, dass ich bei einer so vornehmen Dame mit einem ganzen Haufen Kinder im Schlepptau ankomme.«
»Ein ganzer Haufen? Karim und ich?«
Doch Marit schüttelt den Kopf. »Abgesehen davon würdet ihr euch dort zu Tode langweilen. Die Frau sitzt da still auf einem Stuhl, und ich stehe hinter meiner Staffelei und male. Und bei solchen Leuten könnt ihr wirklich nicht so einfach durchs Haus rennen.«
»Ja, aber …«
»Ende der Diskussion.«
Lenne streckt hinter dem Rücken ihrer Mutter die Zunge raus. Karim setzt sich zu ihr. »Bei solchen Leuten bringt das doch nichts. Lass uns nach draußen gehen. Vielleicht treffen wir noch ein paar von den anderen.«
Lenne schiebt die Zeitschrift weg. »V ielleicht können wir ja bei dir an den Computer?«
»Nein, ich hab heute Morgen auch nicht gedurft.«
»V ielleicht geht es ja bei Malika.«
Aber als Malika die Haustür aufmacht, hat sie eine Jacke an und einen dicken Schal umgewickelt. »Ich muss jetzt mit dem Hund gehen.«
Eine große Dänische Dogge erscheint neben ihr in der Türöffnung. Karim muss sofort wieder an den kleinen schwarzen Hund von gestern Abend denken, und unwillkürlich überläuft ihn ein Schauder.
»Hast du Angst vor Hunden?«, fragt Malika und fasst den Hund am Halsband.
»Nein«, sagt Karim schnell. »Nein, überhaupt nicht.« Er hat Malikas Hund schon oft gesehen. Es ist ein sehr freundliches Tier, auch wenn es so groß ist wie ein Pferd.
»Können wir mitkommen?«, fragt Lenne.
Malika kommt nach draußen und zieht die Haustür hinter sich zu. »Ich gehe hintenrum«, meint sie und läuft am Haus vorbei in den Garten. »Ich gehe mit ihm immer hinten auf der Heide spazieren, durch das Dorf finde ich langweilig. Ich kann ihn zwar im Park mal laufen lassen, aber dann musst du die Häufchen mit einem Schäufelchen einsammeln!« Sie verzieht das Gesicht. »Auf der Heide kann er kacken, wo er will.«
»Darfst du denn auf der Heide spazieren gehen?«, fragt Karim. Das erstaunt ihn, denn er hat gedacht, dass nach dem vergangenen Sommer kein einziges Kind mehr über die letzten Häuser des Dorfs hinausgehen durfte.
Doch Malika zeigt auf ihren Hund und lacht. »Wenn ich so ein Kalb bei mir habe? Ich hab da auch schon drüber nachgedacht. Er sieht mächtig freundlich aus, und das ist er auch … bis jemand seine Krallen nach mir ausstreckt! Das würde ich dir nicht raten, Karim. Versuch’s doch mal, tu mal so, als würdest du mich angreifen wollen.«
»Nein, vielen Dank«, sagt Karim. »Da werde ich mich schwer hüten. Wie heißt er eigentlich?«
»Kees.« Lenne kennt den Namen.
Karim lacht. »Was für ein blöder Name für einen Hund.«
»Er hat auch noch einen anderen Namen«, erzählt Malika. »Einen ganz vornehmen, denn er ist ein Rassehund mit Stammbaum. Aber der ist so lächerlich, dass wir ihn einfach Kees nennen.«
»Glaubst du, dass er uns auch verteidigt, Lenne und mich?«, will Karim wissen, »wenn uns jemand angreift?«
»Oh ja doch, bestimmt. Ihr gehört doch jetzt zu mir, wenn wir zusammen spazieren gehen.«
Erleichtert bummelt Karim hinter Malika und Kees aus dem Garten.
Sie gehen einen Sandweg entlang und dann über eine kleine Brücke.
»Ich komme eigentlich nie hierher«, bemerkt Karim.
Malika wohnt am anderen Ende des Dorfs, und ihr Garten grenzt an einen Teil der Heide, an dem Lenne und er nie vorbeikommen. Das Stück, über das sie auf dem Heimweg von der Schule gehen, liegt genau in der entgegengesetzten Richtung.
Sie
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