Hexenheide
verwandelt hat.«
»Ha!«, stößt Lenne hervor, als würde sie das für eine völlig blödsinnige Bemerkung halten. Doch es steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sie selbst nicht weiß, was sie davon halten soll. Nach einigem Zögern erzählt sie: »Es war ein Frauengesicht, aber überhaupt nicht freundlich. Und was die Haare angeht … es sah so aus, als ob sie überhaupt keine Haare hätte. Ein kahler Kopf. Ganz komisch. Und sie hat wie … wie eine Katze ausgesehen. Ich weiß nicht recht … wegen ihrer Augen, glaube ich. Sie hatte Katzenaugen. Gelbgrün, ekelig. Ich hab das Gefühl gehabt, jeden Moment ins Wasser gezogen zu werden, dass sie ihre Hände nur ausstrecken müsste, um mich zu packen. Ich … ach, das ergibt alles keinen Sinn!« Verwirrt geht Lenne weiter.
»Wo willst du denn hin?«, fragt Karim. Er sieht, dass Lenne noch immer mit schmerzverzerrtem Gesicht das Handgelenk hält, auf das sie gefallen ist. »Nach Hause?«
»Zu meiner Mutter«, sagt Lenne mit ganz leiser Stimme.
»Das geht nicht, die ist bei der alten Dame, die sie malen soll.«
»Das ist mir egal.«
»Aber da können wir doch nicht einfach hingehen und klingeln!«
»Ach nein?«
»Wir können doch vielleicht auch zu deinem Vater gehen.«
»Der ist nicht da. Der macht die Samstagseinkäufe. Dafür braucht er immer Stunden.«
Karim sieht, dass die Tränen nun über Lennes Wangen laufen. »Sollen wir zu mir nach Hause gehen? Meine Eltern sind wie immer da.«
»Nein«, sagt Lenne halsstarrig. Ärgerlich wischt sie sich die Tränen von den Wangen. »Ich will zu meiner Mutter.«
Sie lässt sich nicht umstimmen, und ein bisschen nervös geht Karim mit ihr. Einfach an dem großen Haus zu klingeln, scheint ihm keine gute Idee zu sein. Marit wird bestimmt nicht froh darüber sein, dass sie kommen und stören, und wer weiß, was die alte Dame davon hält! Auch ist es ein gutes Stück zu laufen, denn das Haus liegt außerhalb des Dorfs, aber auch das scheint Lenne nichts auszumachen. Unbeirrbar geht sie weiter.
»Hier ist es«, sagt sie etwas später.
»Weiß ich«, murmelt Karim und blickt auf die hohen grünen Hecken, die den Landsitz umgeben. Zwischen zwei grauen Säulen erhebt sich ein hohes Gittertor, das ein wenig ramponiert aussieht. Früher muss es metallisch geglänzt haben, denn hier und da sind noch ein paar goldene Flecken zu sehen.
»Es ist offen«, ist alles, was Lenne dazu sagt, und sie betritt in aller Ruhe den riesigen Garten und geht direkt auf die Eingangstür zu.
»Hm … Lenne«, fängt Karim noch einmal an, aber Lenne hat bereits auf einen Klingelknopf gedrückt und mit einem schmiedeeisernen Klopfer an die Tür gepocht. Trippelnd vor Ungeduld wartet sie darauf, dass jemand kommt. Gerade als sie erneut nach dem Klopfer greift, geht die Tür einen Spaltbreit auf, und ein runzeliges Gesicht starrt sie aus dem Dunkeln an.
»Ich will zu meiner Mutter«, sagt Lenne sofort.
Karim räuspert sich. »Entschuldigen Sie bitte, dass wir Sie beim Malen stören«, sagt er höflich, »aber Lenne ist auf ihre Hand gefallen, und jetzt …«
»Einen Augenblick«, sagt das runzelige Gesicht und verschwindet.
Die Tür bleibt offen. Mehr Ermunterung braucht Lenne nicht und geht zielstrebig hinein. Nach einigem Zögern beschließt Karim, ihr zu folgen.
Sie stehen in einer hohen Halle. Hier drinnen ist das Haus in keinem besseren Zustand als von außen. Vom Garten aus hat Karim schon gesehen, dass das einstmals ansehnliche Landhaus bereits jahrelang nicht mehr gepflegt worden ist. Die Mauern, die früher einmal reinweiß gewesen sein müssen, haben sich an einigen Stellen grün verfärbt, und der Putz ist voller Risse und Spalten. Nun schaut er auf die schwarzen und weißen Fliesen auf dem Boden unter seinen Füßen. Auch um den hat sich seit hundert Jahren niemand mehr gekümmert. Aber schön ist er schon. Er versucht sich vorzustellen, wie so eine alte Frau – Marit hat gesagt, dass sie mindestens achtzig wäre – noch auf den Knien mit einem Putzlappen rumkriecht. Nein, das macht sie doch bestimmt nicht selbst. Er sieht auf, als er Schritte hört.
Die alte Dame, die ihnen die Tür aufgemacht hat, kommt eilig näher. Sie sieht für eine so vornehme Person ziemlich schlicht aus, findet Karim. Sie trägt ein einfaches schwarzes Kleid, das ihr bis zu die Waden reicht, und ihre Haare sind kurz geschnitten und stehen in unordentlichen Büscheln vom Kopf ab.
»Ihr könnt mal kurz mit reinkommen«, sagt sie.
Karim
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