Hexenheide
gehen?«
Lenne runzelt die Stirn. Was mischt sich diese Frau denn da ein!
»Na … ich will hier ja nicht rummeckern, aber … ich fände es doch schöner, wenn ihr auf der anderen Seite vom Zaun spielen würdet.«
Karim und Lenne sehen sich an und kichern ein bisschen. Was für eine komische Person!
»Es ist nicht sicher auf der Heide«, sagt die Frau dann scharf.
Karim macht Anstalten, brav über den Zaun auf die andere Seite zu klettern.
»Weil es da spukt?«, fragt Lenne spöttisch. Sie schiebt ihre Hände tief in die Jackentaschen und bleibt da stehen, wo sie gerade steht.
»Ach … nein.« Die Frau lächelt und schüttelt ihre roten Locken nach hinten. »Davor, dass es hier spukt, braucht ihr keine Angst zu haben.«
»Wovor denn dann?«, bohrt Lenne weiter. »V or Hexen vielleicht?«
Die junge Frau bekommt große Augen. Ihre rosigen Wangen scheinen eine Spur dunkler zu werden.
»Lenne, motz hier nicht so rum«, sagt Karim leise. »Komm jetzt hinter dem Zaun weg. Außerdem wird mir kalt, ich will nach Hause.«
»V or Hexen«, wiederholt die Frau mit einem Hüsteln.
Karim neigt den Kopf ein bisschen zur Seite. Er hört kein Fragezeichen. Vielleicht sollte er noch ein bisschen warten. Vor Hexen? Das könnte man gut sagen, um dann etwa fortzufahren mit: Hexen gibt es doch gar nicht! Aber die Worte der Frau klingen mehr wie eine Bestätigung als eine Frage.
Die grünen Augen der Frau blicken an Karim und Lenne vorbei auf einen Punkt irgendwo in der Ferne. »Bitte«, sagt sie dann weich. »T ut mir den Gefallen, und geht jetzt irgendwo anders hin.«
Ein heftiger Windstoß pfeift durch die Bäume auf der Heide. Die Frau wendet sich hastig ab, und ohne jeden Abschiedsgruß geht sie mit kleinen schnellen Schritten davon.
Eine Weile sehen Lenne und Karim ihr noch hinterher.
»Na, sag mal!«, murmelt Lenne, als die Frau dann an die Stelle der Straße kommt, wo sie eine scharfe Kurve nach links macht.
Kurz bevor sie außer Sicht gerät, sieht Karim, wie sie die Leine des Hundes losmacht. Damit er endlich frei rumlaufen kann, vermutet Karim, als er plötzlich etwas nach oben flattern sieht. Karim bleibt der Mund offen stehen, und er hört, wie Lenne neben ihm scharf einatmet.
»Was war das denn?«
Lenne wackelt mit dem Kopf hin und her, als könne sie nicht glauben, was sie eben gesehen hat. Dann lacht sie laut auf. »Das war aber auch ein Zufall. Der Hund rennt in das Gebüsch rein, und die Krähe flattert heraus. Als ob die ein und dasselbe wären … als ob der Hund sich in eine Krähe verwandelt hätte!«
»Das hat er auch!« Die Worte kommen stotternd aus ihm heraus.
»Karim, Junge, immer schön auf dem Boden bleiben, ja!« Grinsend klettert Lenne über den Zaun.
Karim, einfach froh darüber, dass Lenne bereit ist mitzugehen, will nichts mehr verderben. »Wer zuerst an unserem Haus ist!«, ruft er.
8
Karim steht bei Lenne zu Hause vor dem kleinen Bild, das an der Wand hängt, das Bild, das Lennes Mutter gemalt hat. Er betrachtet es noch einmal ganz genau. War da etwas Besonderes mit dieser Wassermühle, ist da vielleicht früher etwas passiert? Da muss ich auch noch mal Herrn Paul fragen, ob er raussuchen kann, was die Wassermühle für eine Geschichte hat. Oder war es einfach nur Zufall, dass die Frau ihnen dort erschienen ist?
Lennes Mutter kommt in die Küche und sieht, dass Karim ihr Werk bewundert. Sie gibt ihm einen herzlichen Klaps auf die Schulter und sagt begeistert: »Ich habe einen Auftrag. Wie findest du das?«
Karim denkt bei einem Auftrag immer an etwas Langweiliges, aber Marit sieht ganz entzückt aus.
»Ein Porträt«, sagt sie ausgelassen.
»Oh, was zu malen«, begreift Karim. »V on wem?«
»Kennst du die alte Dame, die in dem großen stattlichen Haus an der Straße nach Kraaienvelt wohnt? Frau van Have-Evinck. Othilde van Have-Evinck, eine schrecklich vornehme Person.«
»Oh ja, das. Ich hab gar nicht gewusst, dass da noch jemand drin wohnt.«
»Hin und wieder. Ja, im Moment sieht es da ein bisschen verwahrlost aus. Seit ihr Mann vor ungefähr zwanzig Jahren gestorben ist, ist nichts mehr dran getan worden. Na ja, die gute Frau ist, glaube ich, jetzt über achtzig. Da kann man es ihr nicht übel nehmen, dass sie nicht mehr auf die Leiter steigt, um die Dachrinne zu reparieren. Und vielleicht ist auch nicht mehr genügend Geld da, um es machen zu lassen, oder sie ist dafür zu sparsam. Kinder scheint sie auch nicht zu haben. Keine Ahnung, was
Weitere Kostenlose Bücher