Hexenheide
weiß nicht, was ich damit machen soll.« Er nimmt seinen Rucksack von den Schultern und zieht die Außentasche auf. »Das hab ich immer noch«, sagt er und holt Erins Medaillon hervor. »V ielleicht will sie es ja wieder zurückhaben, denn sonst …« Karim seufzt und hält Lenne das Medaillon hin, »denn sonst sollst du es kriegen.«
Zögernd nimmt Lenne es. Ein paar Sekunden lang liegt es auf ihrer Hand, während sie es mit gerunzelter Stirn betrachtet. Dann schließt sie ihre Finger darum, kneift die Augen zu und sagt laut und deutlich: »Erin!« Und dann noch einmal lauter: »Erin!«
Dicht hinter ihnen knackt ein Zweig.
Karim dreht sich um.
»Lieber Himmel, Luna, ich habe noch geschlafen!« Erin lacht und reibt sich die Augen. »Hexen sind keine Morgenmenschen.«
»Oh … tut mir leid«, sagt Lenne erschrocken.
»Das hilft jetzt auch nichts mehr.« Erin seufzt und streicht fröstelnd über den dünnen weißen Stoff ihrer Ärmel.
Karim und Lenne sehen jetzt erst, dass sie nur mit einem Nachthemd bekleidet ist.
Lenne schlägt sich eine Hand vor den Mund. »Und dann regnet es auch noch«, sagt sie schuldbewusst. »Ich wollte nur schnell … wir wollten wissen, was wir mit deinem Medaillon machen sollen. Willst du es zurück?«
Erin schüttelt den Kopf.
»Ich hab gesagt, dass Lenne es haben kann, wenn du selbst es nicht willst«, erklärt Karim. »Ich glaub, dass ich es nicht mehr brauche.«
»Prima.« Erin nickt Lenne zu. »Dann kannst du mich jederzeit rufen – wenn du reden willst oder Fragen hast oder uns besuchen möchtest.«
»Ein Telefonanschluss wäre genauso praktisch«, murmelt Karim.
Lenne wirft ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Jetzt sei mal nicht so spießig«, sagt sie und streckt ihm die Zunge raus.
Erin lacht über die Bemerkung und zwinkert Karim verschwörerisch zu.
»Ach, und Erin … sieh mal, was ich kann!«, ruft Lenne dann.
»Lenne kann ein Kunststückchen«, schnaubt Karim, verschränkt die Arme vor der Brust und macht ein säuerliches Gesicht. Eigentlich ist er nur ein bisschen eifersüchtig.
Erin reagiert mit der angemessenen Begeisterung auf Lennes Vorführung, sieht aber auch Karims finsteres Gesicht. Sie strubbelt ihm über den Kopf. »Wirst du auch gut auf deine Freundin aufpassen?«, fragt sie ihn. »Immer wenn sie allzu auffällige Hexenkunststücke vorführen will, musst du uns auf jeden Fall warnen!« Sie beugt sich zu Lenne vor und sieht sie eindringlich an. »Denk daran, dass das für keine anderen Augen als für unsere bestimmt ist.«
»Ja«, sagt Karim sofort, »fang bloß nicht an, dich auf dem Schulhof mit so was aufzuplustern! Es ist ein Geheimnis, Lenne!«
»Natürlich!«, sagt Lenne und hakt sich bei Karim ein. »Natürlich ist es ein Geheimnis. Unser Geheimnis. Du bist der Einzige, der davon weiß, und so muss es auch bleiben.«
Ein bisschen erleichtert grinst Karim sie an. Eigentlich ist das doch sehr schön. Nein, eigentlich ist es fantastisch! Seine beste Freundin ist eine Hexe, und er ist der Einzige, der davon weiß! »Gut«, knurrt er zufrieden, und dann guckt er auf seine Uhr. »Aber dann zaubere uns wie der geölte Blitz an die Schule, denn in fünf Minuten klingelt es.«
Lenne erschrickt. »V erdammt! Das kann ich noch nicht.«
»Lass mich mal machen«, sagt Erin und lacht.
Und zwei Sekunden später betreten Lenne und Karim Arm in Arm den Schulhof.
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