Hexenheide
gesehen, wie sich eine Katze in eine Frau verwandelt hat?
Das Telefon klingelt.
»Ist wahrscheinlich für dich«, sagt Karims Mutter, ohne von ihrem Buch aufzublicken.
Das Telefon steht auf einem Tischchen neben dem Sofa. Karim streckt gleichgültig die Hand danach aus. »Hallo, hier ist Karim.«
Es ist Jesse. Ob er Lust habe, Fußball zu spielen.
Karim blickt in die vom Wind gezausten Bäume. Na ja, warum nicht. »Gut!«, sagt er.
»Kommst du in den Park?«, fragt Jesse. »Dann treffe ich dich da.«
Karim rutscht lustlos vom Sofa. »Ich geh nach draußen, spielen.«
Seine Mutter runzelt die Stirn. »Es sieht aber nach Regen aus.«
»So ist es schon den ganzen Tag.«
»Ja, das stimmt. Aber binde dir einen Schal um.«
Beim Fußballspielen ist ein Schal lästig. Aber um seine Mutter zu beruhigen, bindet er ihn sich um, bis er auf dem Bolzplatz ist. »Bis nachher.«
Als Karim in den Park kommt, ist Jesse noch nicht da, und Karim setzt sich auf eine Bank. Aber nicht auf die Art, wie sich ältere Herrschaften auf eine Bank zu setzen pflegen, das findet er blöd. Er setzt sich auf die Rücklehne, und die Füße stellt er dahin, wo vielleicht bald wieder ein Paar bejahrter Pobacken Platz nehmen will und seine Schuhe hässliche Dreckklumpen hinterlassen. Eigentlich nicht sehr nett, aber bei diesem Wetter kommen vorläufig sowieso keine alten Leute, um sich in den Park zu setzen, denkt Karim. Er stützt den Kopf in die Hände. Es ist schon öde und langweilig, auf jemanden zu warten.
Die Bank steht in einer Ecke zwischen hohen, immergrünen Hecken. Nur im unteren Bereich sind sie kahl, und das auch im Sommer. Vielleicht muss das so sein. Karim schaut einem dicken Spatz zu, der unter den Hecken herumhüpft.
Jemand geht auf der anderen Seite, Karim sieht, wie zwei schwarze Schuhe vorbeikommen. Und er sieht den Saum eines Kleides, der um sie herumschwingt. Die Füße bleiben stehen. Karim runzelt die Stirn. Ein langes violettes Kleid auf der anderen Seite der dichten Hecke, ganz nahe. Tragen Hexen violette Kleider? Einige Hexen vielleicht schon.
Vorsichtig lässt er sich von der Bank gleiten. Vorgebeugt schleicht er bis dicht an die Hecke. Gern würde er unter ihr hindurchgucken, doch der Boden ist braun und schlammig. In den Matsch will er nicht mit Händen und Knien. Er hockt sich hin und versucht, sich weit genug vorzubeugen, um an den kahlen Stämmchen vorbeizusehen.
»Was machst du denn da?«, ist eine belustigte Stimme hinter Karims Rücken zu hören.
Karim schnellt hoch. »Ach, nichts, ich hab nur nach was geguckt.« Scheu blickt er in Richtung Hecke. Wer auch immer sie war, die da gestanden hat, nun ist sie schnell weitergegangen.
Jesse hält seinen Fußball hoch. »Wollen wir?«
»Ja, spielen wir ein bisschen Fußball. Mir wird schon langsam kalt.«
»Nach was hast du denn geguckt?«
»Einem … Spatz.«
Jesse wirft einen Blick über Karims Schulter. »Pff«, macht er. »Da hast du die Hexe.«
Karim erschrickt. Er traut sich nicht, sich sofort umzudrehen. »Hexe?«, wiederholt er dümmlich. Und dann guckt er doch.
Neben der Bank steht ein Mädchen. Über ihrem langen violetten Kleid trägt sie eine schwarze, glänzende Jacke. Eigentlich ist außer dem Kleid alles an ihr schwarz. Ihre Haare, ihre Schuhe, ihre Augen.
»Hab ich vielleicht etwas von dir an?«, fragt sie schnippisch, als Karim sie immer weiter anstarrt.
»Hab ich’s mir doch gedacht!« Jesse lacht schallend.
»Nein, ein violettes Kleid trag ich nicht so oft.« Karim lacht mit ihm mit. Er findet es eigentlich richtig schön, all das Schwarz und das Violett. »Bist du die Schwester von …« Er weiß nicht, wie der Junge heißt, der neulich im Park war.
Das Mädchen sagt nichts, sie sieht ihn nur mürrisch an.
»Ist das Farbe in deinem Haar? Das Schwarz, meine ich.«
»Geht dich das was an?«
»Na, mir gefällt es halt«, sagt Karim.
Darauf fällt dem Mädchen keine schnippische Antwort ein.
»Gefallen?«, ruft Jesse ungläubig. »Findest du die schön, diese Hexe?«
»Sie ist keine Hexe«, sagt Karim.
»Wollt ihr hier weiter rumhängen?«, fragt das Mädchen ungeduldig. »Ich bin hier mit jemandem verabredet.«
»In dem Fall hängen wir hier noch ein bisschen weiter rum«, sagt Jesse boshaft. »Nur mal gucken, wer da auftaucht. Vielleicht noch so ein Gespenst.«
Das Mädchen drängelt sich zwischen ihnen durch, lässt sich auf die Bank plumpsen und holt ein Päckchen Tabak aus ihrer Jackentasche. »Ihr verzieht euch
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