Hexenheide
jetzt mal besser.«
Doch Jesse stellt einen Fuß auf die Bank, und mit dem Ellbogen auf das Knie gestützt, beugt er sich vor. »Das muss man sich erst mal trauen, so rumzulaufen, was?« Er wirft Karim einen schrägen Blick zu und grinst dabei etwas albern.
Das Mädchen gibt Jesses Fußball, der im Gras liegt, einen Tritt. »Scher dich zum Teufel«, sagt sie.
»He!«, ruft Jesse entrüstet und rennt schimpfend hinter seinem Ball her.
»T ut mir leid«, murmelt Karim. »Manchmal ist er ein bisschen nervig.«
»Ein bisschen?« Das Mädchen seufzt.
»Ich finde es richtig schön, wie du aussiehst. Echt. Seid ihr ein Verein oder so was?«
Das Mädchen zieht abfällig eine Augenbraue hoch.
»Ich meine, dass es vielleicht noch mehr gibt, die so sind wie du. Ist das, hm … so eine Art Mode?«
»Mode!«, faucht das Mädchen verächtlich. »Ich ziehe nichts Modisches an.«
»Oh …«, murmelt Karim. Offenbar hat er wieder etwas Falsches gesagt.
»Soviel ich weiß, bin ich hier im Dorf die Einzige, die so aussieht«, sagt das Mädchen stolz. »Und von mir aus kann das auch so bleiben.«
Karim weiß nicht, was er noch sagen soll. Er wollte einfach nur nett sein, aber das Mädchen scheint alles, was er sagt, blöd zu finden. Oder vielleicht kindisch. Er schätzt, dass sie ungefähr fünfzehn ist. Dann findet sie Jungen von elf Jahren sowieso total albern.
Das Mädchen fischt ein Feuerzeug aus ihrer Tasche, zündet ihre selbst gedrehte Zigarette an und fängt prompt an zu husten. Tapfer nimmt sie noch einen Zug, doch es sieht nicht so aus, als ob sie es gewohnt sei zu rauchen. Vielleicht gehört es zu ihrer Kleidung, dass sie die starken Glimmstängel rauchen muss, denkt Karim. Oder zumindest muss sie so tun.
»Ich will mir auch noch ein Tattoo machen lassen«, sagt das Mädchen und sieht Karim herausfordernd an.
»Eine, hm … Tätowierung?« Karim nickt nachdenklich. »Ich hab vor Kurzem eine sehr schöne gesehen.«
»Ja? Bei wem?«
Karim macht den Mund auf und dann wieder zu. Was soll er antworten? »Einfach bei einer Frau.«
»Was für eine?«
»Nur so, eine Frau mit roten Haaren.«
»Nein, was für eine Tätowierung, du Quatschkopf.«
»Oh, hm … die war hier, an ihrem Hals, lauter Kringel und Schleifen.«
»Oh, Mann, wirklich? Eine Frau aus dem Dorf? Das ist nicht dein Ernst. So eine hab ich hier noch nie gesehen.«
Karim zuckt mit den Schultern. »Stimmt aber.«
»Ich hab bisher nur eine Frau mit einem Tattoo auf dem Kopf gesehen«, sagt das Mädchen dann. »Aber das hat mir nicht gefallen.«
Karim kriegt große Augen. »Auf ihrem … Kopf?«
»Ja, sie war kahl. Echt verrückt, Mann. So was würde ich mich nicht trauen.«
Karim räuspert sich. »Wie hat sie ausgesehen? Grüne Augen? Ein langes Kleid?«
»Ja, schon ein schönes Kleid. Das hätte ich gerne. Schwarz. Das hat hinter ihr auf dem Boden geschleift, so lang war es. Sie hat ausgesehen wie eine Vampirfrau, die von irgendwelchen Filmaufnahmen weggelaufen ist. Aber sie ist schon ein komisches Weibsstück. Sie steht immer wieder am Ende vom Veldseweg, da bei den letzten Häusern. Da komme ich vorbei, wenn ich mit dem Rad zur Schule fahre. Ich glaube, die ist nicht so ganz beieinander.« Das Mädchen nimmt noch einen Zug, hustet und schmeißt ihren Glimmstängel ärgerlich in die nächste Pfütze. Dann schaut sie hoch und springt auf. »He, Lenny, das wird aber Zeit, Mann. Ich sitz hierrum und quatsche schon mit Knirpsen, verdammt noch mal.«
Karim sieht einen Jungen mit einer wüsten Punkerfrisur näher kommen. Das Mädchen fällt ihm um den Hals und sie küssen sich klebrig. Oh je, graust sich Karim, dreht sich um und geht weg. Eigentlich wollte er dem Mädchen noch was sagen, nämlich dass sie besser der kahlen Frau aus dem Weg gehen sollte. Doch küssenden Mädels, die mindestens fünfzehn Jahre alt sind, kann man nicht einfach auf die Schulter klopfen und sie dann vor frei laufenden Hexen warnen.
Sie steht immer wieder am Ende vom Veldseweg , hört Karim die Worte des Mädchens in seinem Kopf. Da wohnen Lenne und er. Bei den letzten Häusern . Das sind unsere, denkt Karim fröstelnd, als er am späten Nachmittag nach Hause geht. Er hätte nicht so lange im Park rumhängen sollen, das bereut er jetzt. Aber es war so angenehm gewesen, während eines ausgelassenen Fußballspiels einmal kurz alles und jeden zu vergessen.
Wie ein dunkelgraues Asphaltband liegt der Weg nach Hause vor ihm. Links stehen Häuser mit gemütlich erleuchteten
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