Hexenheide
hätte, der gegen die Gesetze verstoßen hat. Aber ein derartiges Vergehen würde bedeuten, dass so jemand von allen Hexenkreisen ausgeschlossen würde. Es sind Regeln, die nicht von ungefähr bestehen. Hexen sind nun mal imstande, allerlei Kräfte zu entfesseln, und die Gesetze sind geschrieben worden, um von vornherein zu verhindern, dass blutige Fehden entstehen, bei denen sich Hexen gegenseitig ernsthaften Schaden zufügen können.«
»Gelten die Gesetze auch für Menschen?«, fragt Karim mit kleiner Stimme. »Oder dürft ihr euch nur gegenseitig nichts tun?«
»Im Prinzip gelten die Gesetze für alle und jeden«, antwortet Erin. »Menschen, Tiere, die Natur, alles. »Ich habe dir schon früher mal erzählt, dass die alten Geschichten über Zauberfrauen, die die schrecklichsten Dinge angerichtet haben, größtenteils auf Lügen beruhen. Auf Lügen, Geschwätz und Hirngespinsten, die Angst, Hass und Neid entsprungen sind. Ursprünglich sind Hexen nicht mehr als weise Frauen, die nichts anderes wollen, als gesund zu machen, was krank ist, zu heilen, was Schmerzen verursacht, zu trösten, wo Kummer herrscht.«
»Und was ist mit Vita?«, fragt Lenne geradeheraus. »Sie kommt mir überhaupt nicht so vor, als würde sie zu dieser Art Hexen gehören!«
»Lasst uns jetzt nicht über Vita reden«, sagt Alba zurückhaltend. »Zu diesem Zweck habe ich euch nicht eingeladen.«
»Wo ist sie eigentlich?«, will Lenne trotzdem wissen und schaut sich ein bisschen nervös um.
Alba und Erin wechseln einen schnellen Blick. »V ita ist auf einem … einer Art Fest«, murmelt Alba. Mit raschen Schritten geht sie durch die Halle auf eine Tür zu. »Kommt, wir gehen hier rein.«
Doch Lenne lässt sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen. »Bei einem Hexensabbat?«
Mit raschelnden Röcken dreht sich Alba ruckartig zu ihr um. Ihre Augen sind dunkel.
Lenne blickt jedoch unbeirrt zu ihr auf. »Es ist der 31. Oktober. Oder eigentlich nicht mehr, es ist schon der 1. November. Und an diesem Tag war irgendwas. Meine Mutter hat neulich darüber gesprochen. Allerseelen oder Allerheiligen. Ist das eine besondere Nacht für Hexen? Die Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November? Halloween und so?«
Unerwartet breitet sich ein kleines Lächeln über Albas Gesicht. »Naseweis.« Sie nickt Erin zu. »Habe ich eine vielversprechende junge Dame ausgewählt oder nicht?«
Erin lacht. »Ja, das ist ganz eindeutig Hexenmaterial.«
Lenne kann es nicht sein lassen, die Nase stolz in die Luft zu strecken. In ihren Ohren klingt das nach einem echten Kompliment.
Karim räuspert sich. »Und Rinnie?«, fragt er leise. »Rune, ist die bei ihr?«
»Ja«, sagt Alba knapp.
»Wird sie es überleben?«
Alba macht sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten, sie blickt Karim nur mit einer hochgezogenen Augenbraue überheblich an.
»Na ja, jetzt weiß ich auch nicht mehr«, grummelt Karim und schlurft mit gesenktem Kopf durch die Tür, die Alba für ihn aufhält.
Mit schnellen Schritten kommt Lenne vergnügt hinterher. Sie ist wahnsinnig neugierig, am liebsten würde sie das ganze Haus besichtigen, ein Zimmer nach dem anderen. Leicht enttäuscht bleibt sie stehen. »Oh, ist das eure Küche?« Sie hatte etwas anderes erwartet. Beim Besuch eines Hexenhauses hatte sie sich vorgestellt, nur Zimmer vorzufinden, die voller schwarzer Kessel und Tischen mit vielen Glasflaschen wären, in denen Flüssigkeiten brodelten – eine Art Hexenlabor. Sie hatte nicht daran gedacht, dass Hexen in ihrem eigenen Haus in erster Linie ganz normal wohnen.
Alba zeigt auf einen Tisch, um den sechs Stühle stehen. »Setzt euch.«
Vorsichtig betastet Karim die Schnitzereien, mit denen die Rücklehnen der Stühle verziert sind. Sie wirken sehr alt. Voller Interesse schaut er sich um. Der Raum, in dem sie sich befinden, sieht mehr wie eine altmodische Bauernküche aus. Der Holzboden ist vom Alter schon beinahe grau, und die Dielen knarren bei jedem Schritt. Und auch die Wände sehen sehr alt aus, aus grob gehauenen Steinen gemauert. Der früher einmal möglicherweise weiße Putz bröckelt an einigen Stellen ab. Über sich sieht er eine dunkelbraune Balkendecke, von der Kräuterbüschel zum Trocknen hängen. Seltsamerweise erinnert Karim all das an ein Ferienhaus, und er findet, dass es eigentlich einen ziemlich gemütlichen Eindruck macht. An den Wänden hängen Töpfe und Pfannen aus glänzendem Kupfer und schwarzem Gusseisen. Ob sie darin auch nur eine ganz schlichte
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