Hexenheide
jetzt«, sagt sie dann und zieht sich die Bettdecke höher.
Karim knufft sich sein Kissen in die richtige Form, folgt Lennes Beispiel und fasst sein Medaillon an. »Ja, gute Nacht«, murmelt er verzweifelt. Er ist sich ganz sicher, kein Auge zutun zu können, doch nach wenigen Minuten ist er bereits in einem unruhigen Traum gelandet, in dem kahlköpfige Hexen eine große Rolle spielen.
Von einer Hand auf seiner Schulter schreckt er auf. Jemand rüttelt ihn. Den Kopf noch voller gruseliger Traumbilder, schlägt er die Hand wütend weg.
»Au!«, hört er Lenne sagen.
»Oh … tut mir leid«, stammelt Karim. »Ich hab gedacht, du wärst eine Hexe.
Lenne zeigt auf das Fenster. »Da draußen«, sagt sie.
Karim schießt von seiner Luftmatratze hoch. »Was?« Ängstlich starrt er auf die Vorhänge, die leicht hin und her schaukeln. »Und das Fester ist offen«, zischt er empört. »Hast du es aufgemacht?«
»Ja. Ich denke, dass sie auf uns wartet.«
»Wer?« Karims Stimme überschlägt sich. Die Erste, an die er denkt, ist die unheimliche kahle Zauberin, die gerade noch seine Träume unsicher gemacht hat.
Aber Lenne legt eine Hand auf seinen Arm und sagt beruhigend: »Es ist Alba.«
Karim findet das geöffnete Fenster allerdings immer noch keine so gute Idee. Er fasst nach dem Fenstergriff, um es wieder zu schließen.
»Nein, warte noch«, sagt Lenne. »Sie steht da nicht ohne Grund.«
Karim zögert. »Was glaubst du denn, was sie von uns will?«
»Das können wir nur rausfinden, wenn wir zu ihr gehen.« Lenne läuft zu dem Stuhl, über dem ihre Kleider hängen. »Ich zieh mich jetzt an, und dann geh ich sie fragen, warum sie da steht.«
»Willst du das wirklich machen?«
Aber Lenne ist noch nicht fertig mit Sprechen. Sie grinst. »Und ich erwarte von dir, dass du mitgehst, um mich zu beschützen, falls das nötig sein sollte.«
»Puh!«, stößt Karim aus.
Lenne schiebt ihm seine Socken zu, die auf dem Boden liegen. »Beeilst du dich ein bisschen?«
25
Alba steht mitten im Garten und zieht fröstelnd einen schweren Umhang enger um sich. Ihre Haare schimmern weiß im Licht des vollen Mondes.
»Du wartest auf uns«, sagt Lenne. Das klingt nicht wie eine Frage.
Alba nickt. »Ich will, dass du mit mir kommst.«
»Ja«, sagt Lenne, als käme das für sie überhaupt nicht überraschend.
»Bist du jetzt völlig verrückt geworden?«, zischt Karim Lenne ins Ohr.
Alba sieht ihn mit einem Gesicht an, das eher ausdrückt, dass sie selbst nicht glauben kann, was sie nun sagt: »Und du auch.«
»Ich?«, erschrickt Karim, und seine Augenbrauen schnellen hoch.
»Jetzt?«, fragt Lenne. »Jetzt gleich?«
»Das geht doch nicht so ohne Weiteres!«, wendet Karim zitternd ein.
»Es ist doch nur für ein paar Stunden«, sagt Alba ruhig. »Gegen Morgen seid ihr wieder zu Hause.«
»Ich schreibe besser eine Nachricht«, überlegt Lenne. »Stell dir vor, wenn meine Eltern zufällig ein bisschen früher wach werden.« Sie stößt Karim an. »Ich schreibe, dass wir kurz zu dir nach Hause gegangen sind. Das werden sie glauben und bestimmt nicht kontrollieren.«
»Aber Lenne …«, Karim versucht, etwas dagegen vorzubringen, doch ihm fällt nichts ein. Wenn es nur für ein paar Stunden ist, was ist dann dagegen einzuwenden? »Ist es nicht gefährlich?«, fragt er Alba beklommen.
»V ita ist nicht da«, antwortet Alba, »wenn es das ist, worüber du dir Sorgen machst.«
»In Ordnung«, sagt Lenne und schaut auf Karims Schlafanzughose. »Du musst dir noch was anderes anziehen.«
Es kommt zu keiner Nachtwanderung über die kalte und finstere Heide. Alba schlägt ihren dunklen Umhang um die beiden, worüber Karim erschrickt. Er ruft: »He!«, um im allernächsten Moment, ganz aus der Fassung gebracht, ein »Boah!« zu murmeln, als er sieht, dass sie Knall auf Fall in einer kleinen dunklen Eingangshalle stehen, die nur schwach von einer Kerze an der Wand erleuchtet wird.
»Wir sind da.« Lenne kichert.
Karim hört Schritte und schaut hoch.
Es ist Erin, die eine knarrende Holztreppe herunterkommt.
»Erin!«, ruft Karim froh. »Du bist noch … äh … ganz unverletzt.« Er wird rot.
»Natürlich. Hast du etwas anderes erwartet?«
»Ja«, sagt Karim ehrlich. »Ich hab gedacht, dass Vita dich … dir was antun würde.«
Alba räuspert sich. »Hexen tun sich gegenseitig nichts, das ist gegen die Gesetze.« Sie starrt vor sich hin. »Was nicht heißen soll, dass es nie jemand gegeben
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