Hexenheide
Willst du das denn?«
»Stell dir das mal vor«, sagt Karim und greift nach Lennes Hand. »Dann sind wir später zusammen über hundert Jahre alt und trinken von den Tränken, damit wir zusammen durch die Luft fliegen. Und uns kaputtlachen!« Er grinst breit. »Aber sehr gern würde ich auch einfach nur Pilot werden«, fügt er dann nachdenklich hinzu.
»Pff!«, stößt Lenne aus. »Du willst ja eigentlich bloß fliegen, das ist alles.«
»Ja, eigentlich schon«, gibt Karim zu. Er kann es sich nicht so richtig vorstellen, wie er endlos durch die Wälder trottet und Kräuter sammelt. Er dreht sich um und betrachtet das kahle Zimmer noch einmal ganz genau. »Habt ihr nicht auch so einen schwarzen Kessel? Ich hab gedacht, den hätten Hexen immer. So einen Zauberkessel.«
»Draußen«, sagt Alba. »Aber das ist kein Zauberkessel. Er wird gebraucht, um Feuer darin zu machen oder Wasser einzufüllen.« Sie bedeutet ihnen mitzukommen und geht zu einer Außentür, die auf einen Innenhof führt. »Schau, da steht er. Für ein paar Rituale braucht man Feuer oder Wasser.«
»Reicht der offene Herd in der Küche dafür nicht aus?«, will Lenne wissen.
Erin schüttelt den Kopf. »Es ist oft besser, bestimmte Dinge an der frischen Luft zu machen, weil dabei zum Beispiel unangenehme Dämpfe freigesetzt werden, die du nicht im Haus haben willst.«
Alba geht zum Kessel, beugt sich über ihn und ordnet ein paar Äste und Zweige neu an, die darin liegen. Dann blickt sie auf. »Erin?«
Erin nickt und geht ins Haus.
»Was passiert jetzt?«, fragt Karim, plötzlich wieder misstrauisch.
»Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest«, ist die einzige Antwort, die Alba geben will.
Als Erin – nach etwa einer Minute – wiederkommt, trägt sie eine Schale mit ein bisschen Glut vor sich her.
Die hat sie bestimmt aus dem Herdfeuer geholt, vermutet Karim. Er sieht zu, wie die Glut in den schwarzen Kessel kommt. Im Gegensatz zu seiner Erinnerung an Lagerfeuer, die nicht brennen wollen, schießen hier die gelben Flammen praktisch sofort hoch. »Also, das sind auch keine normalen Äste, die darin liegen«, bemerkt er. Dann zieht er tief die Luft ein. Ein angenehm würziger Geruch geht von dem Feuer aus.
Erin zeichnet mit einem herumliegenden Ast einen Kreis in die feuchte Herbsterde und darin einen Stern. »Das kannst du immer und überall machen«, sagt sie zu Lenne. »Mit Kreide, mit Steinen oder einfach in den Sand oder die Erde zeichnen, wie ich es jetzt mache.« Sie legt ihre Hände auf Lennes Schultern und lässt sie sich außerhalb des Kreises hinsetzen. »Du sollst dich hierdurch nicht verändern, es passiert nichts Unheimliches mit dir. Es ist ein magisches Zeremoniell. Vielleicht hilft es dir zu entscheiden, ob du wirklich eine Hexe werden willst, es hilft dir, darüber nachzudenken. Wir wollen dir einen eigenen Namen geben.«
»Einen Hexennamen?«, fragt Lenne hingerissen.
»Du darfst ihn dir selbst ausdenken, das ist meistens das Beste. Aber wir können dir auch einen geben, wenn dir selbst keiner einfällt.«
Lenne denkt so tief nach, dass sich eine Falte auf ihrer Stirn bildet. »Puh!«, murmelt sie. »Bestimmt heiße ich dann für immer so, und ich kann ihn dann nicht mehr ändern?«
»Besser nicht«, antwortet Erin. »Und es ist am günstigsten, wenn du dich für einen Namen entscheidest, der ein bisschen deinem eigenen Namen gleicht – was den Klang betrifft –, dann bleibst du ziemlich dicht bei dem, was du gewohnt bist.«
Nachdenklich blickt Lenne zum dunklen Himmel hoch. »Wie viel Zeit habe ich, um darüber nachzudenken?« Sie seufzt. Der Wind treibt eine schwarze Regenwolke vor den Vollmond. Als sie vorbeigezogen ist, scheint das Licht der runden weißen Scheibe am Himmel auf sie nieder, und im Innenhof wird es auf einmal heller. Lenne fährt aus ihren Gedanken auf. »Luna!«, ruft sie entschlossen.
Alba und Erin blicken einander überrascht an. »Bist du dir sicher?«, fragte Erin mit einem Lächeln.
Lenne nickt.
»Das ist der Name, den auch wir für dich überlegt haben«, sagt Alba leise.
Lenne dreht den Kopf zu Karim. »Luna heißt Mond«, erklärt sie ihm. »Es ist ein Name, den ich mal irgendwo gelesen habe, und ich fand ihn immer schön.«
Erin weist Lenne an, um den Kreis zu laufen, drei Runden links herum, drei Runden nach rechts. Danach muss sie sich mitten in den Stern stellen.
Alba wirft etwas ins Feuer, das prasselt und Funken stieben lässt.
Es riecht nach Feuerwerk, denkt Karim.
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