Hexenheide
Der Geruch ist genau wie der von Krachern in der Silvesternacht. Alba murmelt etwas, was Karim nicht versteht. Fasziniert blickt er von Lenne zu Alba, zu Erin und wieder zu Lenne. Es scheint nichts Seltsames mit seiner Freundin zu passieren, und das beruhigt ihn wieder. »Luna!«, hört er dreimal zwischen den unverständlichen Worten herausklingen. Und dann strahlt Lenne, ein begeistertes Lächeln tritt auf ihr Gesicht.
»Ich weiß es sicher«, murmelt sie. »Ich weiß es ganz sicher!«
Karim zittert, vor Kälte oder vor Anspannung.
Erin legt ihren Arm um ihn. »Ja, hier draußen ist es kalt. Wir gehen wieder rein. Es ist fertig. Du kannst aus dem Kreis heraustreten, Luna. Du hast nun deinen eigenen selbst erwählten Namen.«
Sobald Lenne außerhalb des Kreises ist, läuft Karim schnell zu ihr hin. Er greift nach ihrer Hand. Seine eigene ist in der kühlen Nachtluft eiskalt geworden, doch Lennes fühlt sich warm an. »Hallo, Luna!«, sagt er fröhlich. In Lennes Augen blitzt es auf, und er erschrickt kurz. Vielleicht ist während des Rituals doch irgendetwas mit ihr passiert? Ihre Augen sind heller als sonst, selbst hier im Dunkeln sind sie intensiver grün, als er sie jemals gesehen hat.
Sie gehen wieder ins Haus, wo ihnen Alba erneut etwas Warmes zu trinken gibt, um die Kälte der Herbstnacht zu vertreiben, die ihnen unter die Kleider gekrochen ist.
Lenne trinkt gierig.
Karim fällt auf, dass Alba und Erin ständig bedeutungsvolle Blicke wechseln.
»Ich glaube, du hattest recht«, sagt Erin ein wenig erschüttert zu Alba.
Mit leicht schräg gelegtem Kopf blickt Alba Lenne prüfend an, die mit vorgerecktem Kinn und kerzengerade am Tisch sitzt. »Und ich glaube, dass du recht gehabt hast.« Sie nickt Erin zu. »Die alten Vorgehensweisen waren bei dieser jungen Dame überhaupt nicht nötig. Einige Glückliche werden einfach als Hexe geboren.« Sie lacht. »Ich weiß gar nicht, ob ich es überhaupt wagen kann, sie anzulernen. Ich fürchte, sie hat das Zeug dazu, zur mächtigsten Hexe der westlichen Halbkugel zu werden! Wir werden sehr bald von ihr in den Schatten gestellt werden, Erin.«
Plötzlich rückt Lenne ihren Stuhl etwas nach hinten und greift in ihrer Jackentasche nach der grünen Murmel, die sie wie immer ständig bei sich trägt. Sie holt sie hervor und legt sie sie vor sich auf die Tischplatte. »Sieh mal«, sagt sie zu Alba, »das hab ich mir selbst beigebracht. Ich konnte es fast sofort, vom ersten Tag an, an dem ich sie bekommen hab.« Sie richtet ihre leuchtend grünen Augen auf die Murmel, und langsam hebt die Kugel vom Tisch ab.
Karim hat schon oft gesehen, wie Lenne das gemacht hat, doch an den Gesichtern von Alba und Erin kann er erkennen, dass die das nicht erwartet hatten.
Langsam fängt die Kugel an, sich zu drehen, und schießt grüne Funken durch die spärlich erleuchtete Küche.
»Meine Güte«, flüstert Erin, »ich glaube, ich muss in eine sicherere Gegend umziehen!« Sie sagt das lachend, aber an ihren Augen kann man sehen, wie erstaunt sie ist.
Und dann wird der Friede brutal gestört.
Die Küchentür wird aufgerissen und eine riesige Gestalt wirft einen dunklen Schatten über den Holzboden.
Lennes Konzentration wird schlagartig unterbrochen, und die grüne Kugel schlägt mit einem Knall auf der Tischplatte auf. Karim hört ein schauderhaftes Geräusch von brechendem Glas und sieht, wie die grüne Kugel auseinanderbricht.
»Nein!«, schreit Lenne und packt die zwei Hälften mit beiden Händen. Sie schneidet sich an den scharf ausgezackten Rändern, und ein Tropfen Blut rinnt langsam über ihre Hand.
»Aha«, hört Karim die widerliche Stimme Vitas durch die Küche peitschen, »wird hier ein Fest gefeiert, an dem ich nicht teilnehmen soll?«
Erin springt auf. »Was machst du denn hier?«
»Ha! Ich frage besser, was ihr hier gerade macht, findest du nicht auch? Na? Kann mir das vielleicht jemand erklären?« Dann wendet sich Vita abrupt Karim zu. Mit zwei Schritten ist sie bei ihm, packt ihn am Arm, und ihre Finger klammern sich mit eisernem Griff um sein Handgelenk. Sie reißt ihn vom Stuhl hoch. »Aber erst will ich noch mit dem hier abrechnen!«
26
Karim spürt, wie die Finger um sein Handgelenk eine eisige Kälte verbreiten, die sich blitzschnell durch seinen ganzen Körper zieht. Was macht die Hexe mit ihm? Versucht sie etwa, ihn hier an Ort und Stelle in einen Klumpen Eis zu verwandeln? Er merkt, wie er immer starrer wird. Er will
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