Hexenkessel
mehr?«
»Die Speisekarte«, meinte Marler.
Einen Augenblick später erschien auch schon der Oberkellner und reichte jedem der Gäste eine ledergebundene Karte. Paula bemerkte, daß Alvarez nur einen flüchtigen Blick hineinwarf und sich dann wieder unauffällig im Raum umsah. Wieder beugte sie sich zu Tweed und flüsterte: »Warum ist Alvarez denn so auf der Hut?«
»Nun …« Tweed zögerte, dann beschloß er, mit der Wahrheit herauszurücken. »Er sagt, daß wir verfolgt wurden, seit wir Spanish Bay verlassen haben.«
»Ich glaube, mir hat es soeben den Appetit verschlagen.«
»Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn ich das für mich behalten hätte?«
»Nein. Ich weiß gerne, was Sache ist.«
»Das habe ich mir gedacht. Nun, wofür haben Sie sich entschieden? Suchen Sie sich etwas Gutes aus.«
Paula entspannte sich langsam, während sie eine ausgezeichnete Mahlzeit verzehrte und dazu ein wenig Wein trank. Newman schien in besonders gehobener Stimmung zu sein und machte einen Witz nach dem anderen, aber sie wußte, daß er imstande war, sich völlig unbekümmert zu geben, auch wenn er sich insgeheim mit Sorgen herumplagte. Tweed bestellte Orangensaft, und ihr fiel auf, daß auch Alvarez den Wein nicht anrührte.
»Wissen Sie«, sagte sie, als der Kaffee serviert wurde, »daß die Amerikaner Meister darin sind, ausgesprochen originelle Restaurants mit Anspruch auf gehobene Küche zu betreiben? Dieses hier ist der beste Beweis für ihre Fähigkeiten auf diesem Gebiet.«
»Da stimme ich Ihnen zu«, sagte Tweed abwesend.
»Hier paßt einfach alles zusammen«, schwärmte sie weiter.
»Stimmt.«
Paula stellte fest, daß das Gespräch gezwungen wirkte und daß sie alle sich nach Kräften bemühten, so zu tun, als würden sie den Abend genießen. Marler rauchte mehr King-size-Zigaretten als normal. Butler und Nield beteiligten sich an der Unterhaltung, doch nur Nield gelang es, einen leichten Tonfall anzuschlagen.
»Paula« rief er ihr zu, »verwöhnen Sie sich doch einmal! Trinken Sie einen Likör zum Kaffee, der wärmt den Magen und hebt das Wohlgefühl.«
»Und hinterher tanze ich dann auf dem Tisch und singe schmutzige Lieder.«
»Das würde ich zu gerne einmal sehen«, lachte Nield. »Versuchen Sie eine Samba, dann sind Sie die Attraktion des Abends. Die Leute an den anderen Tischen nehmen das Leben viel zu ernst. Wenn man zum Essen ausgeht, soll man sich amüsieren. Und Sie sehen heute abend besonders bezaubernd aus.«
»Danke, Pete. Sie sind ein gefährlicher Mann. In einer Minute bestelle ich mir einen Grand Marnier.«
»Ich mache das schon für Sie …«
»In einer Minute, habe ich gesagt.«
Sie hatte Pete Nield gern. Er sah gut aus, blieb in kritischen Situationen immer ruhig und gelassen und vermittelte den Eindruck, als hielte er das Leben für ein einziges großes Abenteuer.
»Freut mich, daß Sie diese Meinung von mir haben«, neckte er sie. »Es heißt doch, Frauen könnten einem Mann, der im Ruf steht, gefährlich zu sein, nur schwer widerstehen. Wissen Sie auch, warum?«
»Klären Sie mich ruhig auf.« Paula lachte. »Sie scheinen ein Experte auf diesem Gebiet zu sein.«
»Sie fühlen sich zu gefährlichen Männern hingezogen, weil« - er beugte sich vor - »sie glauben, von ihnen ließen sie sich zähmen. Sie stellen eine Herausforderung dar, und nur wenige Frauen können einer Herausforderung widerstehen.«
»Wenn Sie das sagen …« Wieder lachte sie. »Fordern Sie mich heraus, Pete?«
»Vorsicht, Paula«, witzelte Newman. »Hinter dieser umgänglichen Fassade verbirgt sich ein ausgebuffter Schürzenjäger.«
Paula kicherte immer noch, als eine schattenhafte Gestalt in den Hof huschte. Sie trug einen breitkrempigen, tief in die Stirn gezogenen Schlapphut, eine große Sonnenbrille, einen um die untere Gesichtshälfte gewickelten Schal, einen kurzen Trenchcoat und Jeans.
Auf den ersten Blick fand Paula die Kleidung nicht ungewöhnlich - es war ziemlich kalt draußen, und sie selbst hatte sich in ihren Pelzmantel gehüllt. Dann näherte sich die Gestalt jedoch mit raschen Schritten dem Fenster, und Paula blieb das Lachen im Halse stecken. Die hinter dunklen Gläsern verborgenen Augen starrten sie an, dann hob die Schattengestalt beide Hände, und Paula sah, daß sie einen runden Gegenstand von der Größe eines Suppentellers umklammerte. Sie schleuderte den Gegenstand gegen die Fensterscheibe, wo er wie eine überdimensionale Schnecke am Glas klebenblieb.
Nur Alvarez war ihr
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