Hexenkessel
sich der Attentäter in dem kleinen Badezimmer hinter ihm verborgen gehalten haben mußte. Die nicht vergrößernde Seite des zweiteiligen Spiegels war so ausgerichtet, daß er die Badezimmertür im Auge behalten konnte.
Die Schublade zu seiner Rechten hatte er halb aufgezogen. Darin lag unter einem Blatt Papier die Walther.
Bevor er das Apartment betreten hatte, war er einmal um den Block geschlendert, um sich die am Bordstein geparkten Autos genau anzuschauen. Er hatte beobachtet, wie Maurice am Ausgang des Hofes erschien, zögerte und dann wieder zurückging, als habe er etwas vergessen. Maurice war auffallend elegant gekleidet gewesen.
Tweed hatte seinen Spaziergang fortgesetzt, um Maurice Zeit zu geben, das Apartment wieder zu verlassen. In seiner Tasche steckte ein Satz Dietriche, den Marler ihm anläßlich eines früheren Unternehmens einmal besorgt hatte.
Vor seinem Aufbruch nach Carmel hatte er vom Hotelzimmer aus mehrere Leute angerufen, die auch auf Grenvilles Party im Anglo-Pacific-Club gewesen waren, und hatte ihnen weisgemacht, er habe erfahren, daß ein gewisser Tweed an diesem Morgen das Standish-Apartment aufsuchen wolle. Danach hatte er einen anonymen Anruf in Black Ridge getätigt und Hogan, der am anderen Ende der Leitung gewesen war, dieselbe Geschichte aufgetischt. Da sich der größte Teil der britischen Clubmitglieder tödlich langweilte, hegte er keinen Zweifel daran, daß diese Anrufe bald Thema Nummer eins sein würden.
Schließlich, nachdem er Maurice genügend Zeit zum Verschwinden gelassen hatte, war er dann in den Hof gegangen und die Eisentreppe emporgestiegen.
Mit dem vierten Dietrich ließ sich die Wohnungstür öffnen. Er schlich leise hinein und bemerkte als erstes den an einer Wand ausgebreiteten Schlafsack von Maurice. Vorsichtshalber ließ er die Tür einen Spalt offenstehen, während er flüchtig den Raum durchsuchte. Ein muffiger Geruch hing in der Luft.
Als er den hohen Metallschrank öffnete, fiel ihm Maurice’ merkwürdige Garderobenzusammenstellung auf. Die eine Hälfte bestand aus alten, abgetragenen Fetzen, die andere aus modischen Anzügen. In sich hineinlächelnd schloß er den Schrank wieder. Als er versuchte, die Badezimmertür zu öffnen, stellte er fest, daß ihm das nicht gelang, weil sie sich irgendwie verklemmt hatte, und er erinnerte sich, wie viele Schwierigkeiten diese Tür Detective Anderson bereitet hatte, der sich mit seinem ganzen Gewicht dagegenwerfen mußte, um sich Zugang zum Bad zu verschaffen.
Danach machte er es sich dem Stuhl hinter dem Schreibtisch bequem und begann mit seinen Kritzeleien. Hier, in dem abgelegenen Hinterhof, war von dem Verkehr und den Menschen draußen auf der Straße kein Laut zu hören. Die Totenstille, die den meisten Leuten auf das Gemüt geschlagen wäre, ließ ihn kalt.
Tweed hatte mit Absicht kein Mitglied seines Teams in seine Pläne eingeweiht. Schon das kleinste Indiz dafür, daß der Hof bewacht wurde, konnte den Buchhalter abschrekken. Nachdem er lange Zeit bewegungslos dagesessen hatte, war es zu einem kleinen Zwischenfall gekommen, mit dem er jedoch auf seine übliche gelassene Weise fertiggeworden war. Wieder fing er an, sinnlose Zahlen auf einen Bogen Papier zu kritzeln. Eine vollkommen reglose Gestalt hätte Verdacht erregt, falls sich der Buchhalter tatsächlich entschloß, ihm einen Besuch abzustatten.
Tweed verfügte über Nerven aus Stahl. Die Tatsache, daß er sich als lebende Zielscheibe für einen Killer anbot, der nie gefaßt worden war, bereitete ihm keinerlei Kopfzerbrechen. Und er hatte zudem eine Engelsgeduld. Das einzige Geräusch, das er hörte, waren Schritte draußen auf dem Kopfsteinpflaster unterhalb der Treppe. Er wartete darauf, daß sie die Stufen emporkamen, aber sie verhallten in der Ferne. Vermutlich benutzten die Einheimischen den Hof als Durchgang.
Mehrfach schob er die Hand in die halb geöffnete Schublade, um sicherzugehen, daß er die Walther mit einem Griff packen konnte. Die Bewegung erfolgte mittlerweile fast automatisch. Nun hing der Erfolg seiner Mission allein davon ab, ob die Gerüchte, die er ausgestreut hatte, der richtigen Person zu Ohren gekommen waren.
Er warf einen Blick auf seine Verdächtigenliste, überzeugt davon, daß einer der dort aufgeführten Namen der des Attentäters sein mußte, doch konnte er nicht mit Sicherheit sagen, welcher Name denn nun zu dem Serienmörder - oder der Mörderin - gehörte, der oder die sich selbst der ›Buchhalter‹
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