Hexenkind
sich wie ein Außerirdischer aus einer anderen Galaxis, der nichts von dem begreift, was auf der Erde und um ihn herum geschieht.
Er lag morgens wach und hörte durch die geschlossene Badezimmertür das Rauschen des Wassers, wenn sie duschte. Er überlegte, ob er zu ihr gehen und sich zu ihr unter die Dusche stellen und sie berühren sollte, was er schon lange nicht mehr getan hatte. Er überlegte so lange, bis das Rauschen des Wassers aufhörte und er wusste, dass sie sich jetzt abtrocknete.
Wenige Minuten später kam sie im Bademantel ins Schlafzimmer und suchte sich leise frische Wäsche aus dem Schrank. Er hatte Lust, die Arme nach ihr auszustrecken, wollte ihre nackte Haut spüren, vom Duschen noch warm und ein klein wenig feucht – aber er tat es nicht.
Er wusste, dass sie jetzt in der Küche Kaffee trank, und überlegte, ob er sich zu ihr setzen sollte, um ihr zu sagen, wie sinnlos das Leben ohne sie wäre – aber er tat es nicht.
Er lauschte an der Tür, als sie Edi einen ganzen Topf voll
gesunder Suppe kochte und dabei die Geschichte von dem Kaninchen Rabbia erzählte, das sich einbildete, ein gefährlicher Löwe zu sein, und seinen kleinen Bruder fressen wollte. Immer wenn es spannend wurde, quietschte Edi, und als sie aus dem Pappkarton reichlich Rosinen in seinen Teller schüttete, gluckste er vor Freude.
Als Edi fertig gegessen hatte, drückte sie ihm einen alten Wecker zum Spielen in die Hand und schickte ihn in seinen Verschlag. Dann stieg sie ins Auto und fuhr davon.
Er hatte ihr nicht »Buongiorno« gesagt, hatte sie nicht in den Arm genommen und ihr nicht gesagt, dass er sie mehr liebte als sein Leben. Es war Sonntag, und er wusste nicht, wohin sie fuhr. Er war ein Idiot.
Als sie wiederkam, kochte er gerade ein Risotto in der Trattoria und konnte ihr lediglich zulächeln. Sie verschwand im Haus. Nach zehn Minuten kam sie wieder, und er sah, dass sie sich komplett umgezogen hatte. Sie begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange, dem ersten des Tages, obwohl es schon halb fünf war, und dann setzte sie sich mit einer Zeitung an einen der Tische auf die Terrasse, weil noch keine Gäste da waren.
»Soll ich dir was helfen?«, rief sie höflichkeitshalber, aber er verneinte.
Obwohl sie eine Sonnenbrille aufhatte, sah er sie vom Küchenfenster aus lange an. Studierte ihr Gesicht, ihre Bewegungen und versuchte, irgendetwas zu entdecken, was darauf schließen ließ, dass sie heute Vormittag bei ihm gewesen war. Aber er fand nichts.
Kurz darauf kam sie in die Küche. »Wie viele Voranmeldungen haben wir für heute Abend?«
»Zwölf.«
»Das ist ja nicht die Welt. Brauchst du mich, oder kann ich noch mal ins Haus?«
Er musste sie angesehen haben wie ein verwundetes Reh, denn sie fügte hastig hinzu: »Mir geht schon den ganzen Tag ein Motiv, das ich gerne malen würde, nicht aus dem Kopf. Ich will mich einfach mal drauf konzentrieren und sehen, ob was draus wird, ob ich den richtigen Schwung und die richtige Laune habe. Vielleicht geht es ja schnell, und ich bin bald zurück.«
Romano nickte. »Geh nur. Ich schaff das hier schon.«
Dennoch nahm sie die Schürze vom Haken, band sie sich um und bereitete die Salate für den Abend vor. Als sie fertig war, säuberte sie die Arbeitsplatte und wusch sich die Hände.
»Wir waren schon lange nicht mehr in Florenz«, bemerkte er, um sie aufzuhalten.
»Das stimmt«, lachte sie, »darum sollten wir schleunigst mal wieder hinfahren.« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, drehte sich um und verschwand.
Um sieben kamen die ersten Gäste, und Romano war vollkommen unkonzentriert. Er konnte sich plötzlich nicht mehr daran erinnern, ob er die Wachteln, die er schon hundertmal zubereitet hatte, mit oder ohne Knoblauch und ob er sie in Öl oder mit Brühe in den Ofen geschoben hatte. Er fühlte sich wie ein Stümper, der zum ersten Mal in der Küche stand. Um acht waren drei Vierertische vollzählig. Unangemeldete Gäste kamen nicht mehr hinzu. Wie in Trance richtete er die Vorspeisen an, erwärmte die Soßen, schob Fleisch und Fisch in den Ofen und goss heiße Zimtsoße über Vanilleeis.
»Was ist los mit dir?«, fragte Teresa mehr ärgerlich als besorgt. »Du bist ja völlig durch den Wind! Reiß dich doch zusammen!«
»Nichts ist los. Aber ich muss noch mal weg. Ich hab noch was Wichtiges zu erledigen.«
»Dann verschwinde. Ich mach den Rest allein. So wie du im Moment bei der Sache bist, störst du nur.«
Romano kommentierte das nicht.
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