Hexenkind
Es war jetzt zweiundzwanzig Uhr dreißig. Er vergewisserte sich, dass Edi friedlich in seinem Bett lag und schlief, und fuhr los.
Wie gewohnt parkte Romano sein Auto oben am Waldrand, aber zum ersten Mal stand es dort nicht allein. Ein silbergrauer Landrover war ihm zuvorgekommen. Er ist da. Also doch, dachte er und wischte sich den eiskalten Schweiß von der Stirn.
Langsam schlich er durch den dunklen Wald. Den Weg hatte er frei geschlagen, und mittlerweile ging er die Strecke fast blind. Er wollte sich auf das, was ihn erwartete vorbereiten, aber er konnte nicht. Es war zu unwirklich, zu absurd.
Das Haus lag fast völlig im Dunkeln, nur aus dem Schlafzimmerfenster drang ein schwacher Lichtschein.
Der Schmerz in seinem Unterleib, der sich anfühlte wie ein Stich, wurde stärker.
Das Schlafzimmer lag direkt über dem Magazin, das man nur geduckt betreten konnte. Außerdem war der Magazinfußboden ein Stück in den Fels gehauen, sodass das Schlafzimmerfenster tiefer lag als normalerweise ein Fenster im ersten Stock. Romano wusste, dass neben der kleinen Capanna,
einem Nebengebäude, das eine Ruine war, auf der linken Seite im Gestrüpp eine nicht allzu lange Aluminiumleiter lag, mit der er die Regenrinne gesäubert hatte. Sie würde problemlos bis zum Fenster reichen.
Das Licht, das aus dem Schlafzimmerfenster drang, reichte ihm, die Leiter zu finden und leise an der Hauswand aufzustellen. Er kam sich vor wie ein Dieb in der Nacht, als er langsam und vorsichtig die Sprossen nach oben stieg.
Antonio saß nackt und breitbeinig im Sessel, er wirkte mehr als entspannt – regelrecht erschöpft. Seine Arme hingen abgewinkelt über die Armlehnen hinaus und schwebten in der Luft, in einer Hand hielt er ein halbvolles Glas Rotwein, so schräg, dass es jeden Moment auszukippen drohte. Romano fiel sein muskulöser, gebräunter, makelloser Hals mit einem ausgeprägten Adamsapfel auf. Ein leichtes Lächeln spielte um Antonios Mundwinkel, und er sah aus wie ein Mann, der sich gerade gesagt hatte: »Whow, das Leben ist großartig. Lass dir was einfallen, Baby.«
Sarah trug einen ihrer vielen geliebten seidenen Morgenmäntel, die sie ab und zu auch in Montefiera anhatte. Sonntags zum Beispiel, wenn sie sich mit einem Buch in eine Couchecke kuschelte und mindestens zwei Stunden nicht gestört werden wollte. Einen solchen Morgenmantel hatte sie auch wenige Stunden vor ihrer Hochzeit getragen. Als er ihr Zimmer betrat, hatte er sie im Brautkleid erwartet und daher ihren Morgenmantel so bewusst wie nie wahrgenommen. Und er hatte gedacht, eigentlich könne sie auch darin heiraten, so phantastisch sah sie aus.
Und jetzt trug sie wieder einen, champagnerfarben, ein Hauch von nichts, fließender Stoff, der die Formen ihres Körpers betonte, gleichzeitig aber auch nur erahnen ließ.
Sie ging im Raum auf und ab und sagte etwas zu Antonio, was Romano nicht verstehen konnte. Aber Antonio lachte leise. Dann goss sie sich im Gehen den letzten Rest Rotwein aus der Flasche in ihr Glas und trank es in einem Zug leer. Einen Moment hielt sie inne, stellte Glas und Flasche auf dem kleinen runden Tischchen ab und setzte sich breitbeinig auf Antonios Schoß.
Romano konnte aus seinem Blickwinkel nur sehen, dass Antonio den Kopf etwas mehr anhob. Unwillkürlich zog er seinen etwas zurück, aber er war ziemlich sicher, nicht gesehen worden zu sein. Antonio hatte jetzt andere Dinge im Kopf, als auf das Fenster zu achten. Von Sarah sah er nur den Rücken, aber es war deutlich, dass ihr Morgenmantel vorn weit auseinanderklaffte. Durch die Bewegungen unter dem dünnen Stoff konnte Romano erahnen, wie Antonios Hände über ihren Körper wanderten. Als Sarah schließlich den Kopf vor Lust in den Nacken warf und sich aufbäumte, weil Antonio die richtige Stelle gefunden hatte, stieg Romano, langsam und genauso leise wie vorher, von der Leiter.
Er stürmte nicht ins Haus, jagte Antonio nicht zum Teufel und stellte Sarah nicht zur Rede, sondern legte die Leiter ins Unkraut neben der Capanna. Genauso, wie er sie vorgefunden hatte. Niemand würde etwas merken.
Und dann ging er leise zurück zu seinem Auto.
56
Um drei hörte er ihr Auto vor dem Haus. Er hatte stundenlang auf der Couch gesessen, nicht die geringste Müdigkeit verspürt und gewartet. Es war ihm egal, ob sie mitten in der Nacht oder erst zum Frühstück kommen würde, er konnte nicht schlafen. Er glaubte, nie wieder in seinem Leben schlafen zu können.
Sie schlich auf
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