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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Strümpfen die Treppe herauf und kam an der geöffneten Wohnzimmertür vorbei. Romano saß im Dunkeln. Sie wollte direkt ins Bad gehen, als er sie ansprach.
    »Komm doch rein, ich bin wach.« Seine Stimme klang tief und belegt.
    Sarah zuckte zusammen, betrat das Wohnzimmer und machte Licht. »Was ist denn mit dir los? Du sitzt hier im Dunkeln? Bist du verrückt geworden?«
    »Komm her und setz dich.« Romano lächelte.
    Sarah setzte sich. Romano drückte ihr ein Glas Wein in die Hand. »Trink einen Schluck mit mir, ich habe so lange auf dich gewartet.«
    Sarah war äußerst unbehaglich zumute. Was war hier los? Romano war ihr so fremd, seine Ruhe und sein Lächeln machten ihr Angst.
    Romano sah, dass ihre Unterlippe zitterte und legte ihr beruhigend eine Hand aufs Knie.

    »Liebst du mich eigentlich, Sarah?« Er hatte diese Frage so drastisch und so deutlich noch nie gestellt.
    »Ja, ja, wieso?« Sie spürte, dass ihr die Röte ins Gesicht schoss. »Natürlich liebe ich dich, Romano, sehr sogar. Sonst hätte ich dich nicht geheiratet.«
    »Dann ist es ja gut.« Er lächelte schon wieder und tätschelte ihr Knie.
    Es war halb vier Uhr früh, sie hatte zwei Flaschen Rotwein mit Antonio getrunken, sie hatte sich völlig verausgabt und fühlte sich wie nach einem Fünftausendmeterlauf, sie war betrunken und todmüde und wollte nur noch ins Bett. Romano war ihr unheimlich. Sie versuchte aufzustehen, aber er drückte sie wieder zurück in den Sessel.
    »Bitte, bleib noch einen Moment.«
    Romano stand auf und ging zum Fenster. Stand mit dem Rücken zu ihr und sprach ruhig und langsam.
    »Kein Versteckspiel mehr, Sarah. Und keine Lügen. Lass uns offen miteinander umgehen. Mehr verlange ich nicht.«
    »Ich versteh nicht …« Ihr Herz klopfte wie wild.
    »Doch, du verstehst. Er heißt Antonio Graziani, ist fünfundzwanzig Jahre alt, wohnt in der Via dei Pellegrini, und er sieht verdammt gut aus. Er arbeitet in einem Schreibutensiliengeschäft in der Via di Città, und du hast seit einiger Zeit eine Affäre mit ihm. Ihr trefft euch regelmäßig bei ihm oder im Casa della Strega, so auch heute Abend.«
    Sarah blieb stumm. Weiße Flecken tanzten vor ihren Augen.
    »Es ist schwer für mich, damit umzugehen. Ich weiß noch nicht, was ich tue, aber ich werde dich nicht verlassen.« Er machte eine lange Pause, während der er sie jedoch nicht ansah. Sarah sagte keinen Ton und wagte kaum zu atmen.

    Romano holte tief Luft. »Aber ich möchte wissen, wo du bist und wann du dich mit ihm triffst. Keine Heimlichkeiten mehr. Ist das zu viel verlangt?«
    Sarah schüttelte den Kopf, was er nicht mitbekam, da er immer noch auf die nächtliche, ausgestorbene Dorfstraße sah, von einer einzigen Laterne beleuchtet.
    Daher wiederholte er seine Frage. »Ist das zu viel verlangt?«
    »Nein«, hauchte Sarah.
    »Gut.« Jetzt erst drehte er sich zu ihr um. »Ich werde betrogen, aber ich möchte nicht auch noch belogen werden. Das könnte ich nicht ertragen. Ich muss wissen, woran ich bin.«
    »Ja.«
    »Sonst ist unsere Beziehung beendet.«
    »Ja.«
    »Va bene. Gute Nacht, Sarah.«
    »Gute Nacht, Romano.«
    Romano stellte äußerst behutsam sein Glas ab und verließ den Raum. Er war an einem Punkt seines Lebens, den er sich schlimmer und schmerzhafter nicht vorstellen konnte.

Toskana, November 2004 – elf Monate vor Sarahs Tod
    57
    Noch eine dreiviertel Stunde bis zur Landung in Florenz. In der kleinen Lufthansa-Maschine war es kühl, aber er schwitzte, als säße er im Dschungel bei achtundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit. Das Wasser lief ihm in kleinen Rinnsalen den Rücken hinunter, sein Hemd klebte am Körper, in seinen Wimpern hatten sich Schweißtropfen verfangen, die ihm über die Stirn gelaufen und dort hängen geblieben waren.
    Sein Atem ging schwer, er schnaufte und pumpte die Luft in seine Lungen, um die Übelkeit und den Schwindel zu bekämpfen. Auf dem kleinen, am Sitz des Vordermanns herausklappbaren Tischchen hinterließen seine zitternden Hände feuchte Flecken.
    »Geht es Ihnen nicht gut?« Die Stewardess beugte sich über ihn, und ihre Augen erinnerten ihn an die kugelförmigen Augen eines Reptils. Ihr Gesicht war grün. Er wich erschrocken zurück, und erst dann bemerkte er, dass alles um ihn herum grün war. Das ist das Ende, dachte er, verflucht noch mal, jetzt geht’s mir an den Kragen.
    »Bringen Sie mir einen doppelten Whisky«, schnaufte er, »oder nein, lieber einen dreifachen.«
    Die Stewardess nickte, sah ihn sehr

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