Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
Goldschmuck liebte. Sie behauptete, ihre Arbeit aus reiner Menschenliebe zu machen, und es ging ihr gehörig auf den Geist, wenn er an einem Film, für den er die Musik schreiben sollte, herummäkelte. Zweimal im Monat drohte sie, den ganzen Kram hinzuschmeißen, für sie bliebe bei diesem »Idiotenjob«, wie sie ihn gerne nannte, ohnehin kaum etwas übrig.
    Konkret bedeutete die »Menschenliebe« jedoch, dass er regelmäßig mit ihr ins Bett gehen musste, was er mal gerne, mal widerwillig tat, je nachdem wie viel Promille er schon intus hatte.
    »Trommle Matze, Jonny und Wumme wieder zusammen, geh zurück zu deiner Band und spiele auf Feuerwehrbällen«, sagte sie an solchen Tagen. »Ich hab keinen Bock mehr und höre mir dieses ständige Gemecker und Gejammer nicht länger an. Ich werde eine Schauspieleragentur aufmachen. Schauspieler haben längst nicht so einen Knall wie Musiker.«
    In diesen Momenten stand er auf, trat hinter sie und begann ihr die Schultern zu massieren. Es war beinah wie ein Ritual. Gunda sagte nichts mehr, aber wurde immer weicher und entspannter, sie bewegte sich in der Taille, atmete tief und schloss die Augen. Wenn sie sich zu ihm umdrehte und den Kopf in den Nacken legte, küsste er sie.

    »Du bist mir von allen immer noch der Liebste, du Spinner«, flüsterte sie und schoss als Erstes ihre Pumps durchs Büro, ohne darauf zu achten, wo sie landeten. Dann riss sie das Telefonkabel aus der Wand und zog sich aus.
    Gunda war eine Frau, die schnellen Sex brauchte wie andere ein Aspirin am Morgen oder eine Wärmflasche in der Nacht. Nur dann, wenn sie irgendjemanden verführt, überrumpelt oder gezwungen hatte, fühlte sie sich stark und selbstbewusst.
    Es war ein herrliches Gefühl zu wissen, dass Gunda weit weg war und nicht plötzlich in der Tür stehen und sich die Bluse aufknöpfen konnte.
    Seine Finger flogen über die Tasten, sein Spiel wurde zorniger, verzweifelter. Er hämmerte die Akkorde, als würde er eine Trommel schlagen. Sprang auf und rannte zum Fenster, riss die Gardine zur Seite und vergaß, dass er nackt war.
    Mit ausgebreiteten Armen stand er zwischen den Fensterflügeln wie der männliche Akt auf der Proportionsstudie des Leonardo da Vinci.
    Und da sah er sie. Ruhig blickte sie zu ihm auf, und ihre Blicke trafen sich.
    Plötzlich schämte er sich, schlagartig wurde ihm seine Nacktheit bewusst, und er zog die Gardine wieder zu.
    Jetzt wurden seine Melodien ruhiger, leiser, sehnsüchtiger. Tränen traten ihm in die Augen. Er musste dringend noch etwas trinken. Als er die Flasche nahm, wagte er erneut einen Blick aus dem Fenster. Sie stand immer noch da und sah zu ihm hinauf.
    Dann ging alles sehr schnell. Er sprang in seine Jeans, zog ein T-Shirt über den Kopf und riss das Fenster auf. Sie lächelte.

    »Cosa vuole«, fragte er.
    »Fantastico! Suona benissimo il pianoforte«, hauchte sie nur, aber er verstand es trotzdem.
    »Komm rein«, sagte er, »komm, wenn du willst. Ich habe hier eine offene Flasche Wein.« Auf Italienisch konnte er nicht antworten, also sprach er deutsch. Er würde ja sehen, ob ihn diese schöne Italienerin verstand oder nicht.
    Aber sie überlegte nicht lange.
    Sie ging zu ihm in seine Wohnung, so wie sie zu Antonio gegangen war.

60
    Elsa saß wie hypnotisiert auf der zerschlissenen Couch, sah ihm zu und hörte ihm zu. Ihr Herz hämmerte und pochte in ihrem Schoß. Er war älter als sie. Viel älter. Er war schön, er war betrunken, und er war verrückt. Mehr wusste sie nicht von ihm. Wer eine wildfremde Frau von der Straße aufsammelte, sie in seine Wohnung ließ und dann für sie Klavier spielte, der musste einfach verrückt sein. Und sie war es auch. Denn eine Frau, die zu einem wildfremden Mann in die Wohnung ging, ohne auch nur einen Satz mit ihm gewechselt zu haben, die war nicht nur verrückt, sondern lebensmüde oder verliebt.
    Auf dem Tisch lagen ein paar Autogrammkarten. Sein Bild mit etwas kürzeren Haaren als momentan, darunter stand sein Name: »Amadeus«. Er hatte noch nicht signiert.
    Als er eine kurze Pause machte, um etwas zu trinken, hatte sie ihn gefragt, ob er Amadeus hieße. Er hatte nur genickt. Und sie hatte sich ihm genau wie bei Antonio als Elisabetta vorgestellt.
    »Warum sprichst du so gut deutsch?«, fragte er.
    »Weil ich eine deutsche Mutter habe.« Mehr sagte sie nicht dazu, und ihm genügte diese Antwort.
    Der Wein stieg ihr in den Kopf und machte sie schläfrig, die Couch war weich, und die Musik ließ sie träumen.

Weitere Kostenlose Bücher