Hexenkind
und wünschte, niemanden zu sehen. Teresa brach bei jeder Beileidsbekundung erneut in Tränen aus und kredenzte unermüdlich Crostini, Käse, Oliven, kühles Wasser und leichten Hauswein. Kommissar Donato Neri nahm die Gelegenheit wahr und sprach mit fast jedem der Gäste über Sarah.
Romano kochte vor Wut. Er fand, dass durch diese Befragungen bereits jetzt ihr Ansehen mit Füßen getreten wurde, denn jeder der anschließend – äußerlich natürlich tief bestürzt – nach Hause ging, hatte durch Neris hartnäckiges Bohren in Sarahs Beziehungen und ihrer Vergangenheit das Gefühl, die Signora umgebe ein düsteres Geheimnis. Man wisse zwar nicht genau warum, aber auf alle Fälle sei sie selber schuld, umgebracht worden zu sein.
Romano wünschte sich nichts sehnlicher, als alle hinauszuwerfen und allein zu sein, aber das hätte ihm im
Ort niemand verziehen. Schon durch dieses Verhalten hätte man ihn als Mörder abgestempelt, so viel war klar. Es ging im Ort niemandem darum, die Wahrheit herauszufinden, es ging nur darum, ein Gerücht am Kochen zu halten, das Gesprächsstoff für die nächsten Wochen liefern konnte. Ob es nun wahr war oder nicht, spielte nur eine geringe Rolle.
»Wann wird sie beerdigt?«, fragte Elsa Romano, als sie am Abend vor dem großen Kamin im Wohnzimmer saßen. Elsa nippte seit Ewigkeiten an einem halben Glas Rotwein, Romano trank bereits die zweite Flasche. Die Besucher waren weg, Donato Neri ebenfalls. An der Eingangstür zur Trattoria prangte ein großes Schild: »Wegen Trauerfall bis auf Weiteres geschlossen.«
»In drei Tagen vielleicht. Oder in vier. Je nachdem, wie lange die Obduktion dauert und ob sie was finden oder nicht.«
»Was kann denn da noch zu finden sein?«, fragte Elsa. »Sie ist doch eindeutig mit einem Messer umgebracht worden, aber nicht vergiftet oder so was.«
»Frag mich nicht, ich weiß es auch nicht.«
»Ich kann doch so lange nicht in der Uni fehlen!« Elsa wirkte nervös. »Wir schreiben nächste Woche eine wichtige Klausur, die muss ich mitschreiben, sonst kriege ich meinen Schein nicht. Und ich brauche den Schein für die Prüfung im Februar.«
»Mach die Sache doch nicht komplizierter, als sie ohnehin schon ist.« Romano musste sich zusammenreißen, nicht zu genervt zu klingen. »Du redest mit dem Dekan. Diese Situation ist ja wohl mehr als außergewöhnlich. Er
wird Verständnis dafür haben, und dann schreibst du eben nach. Wenn wir im Moment weiter keine Sorgen haben, dann ist es ja gut.«
Das Gespräch mit Kommissar Neri lag ihm noch immer auf der Seele. Neri war ein unangenehmer Zeitgenosse, fand Romano, bohrend, misstrauisch, taktlos und immer das Schlechteste vermutend. Er hielt generell erst mal jeden für schuldig und nicht umgekehrt.
»Haben Sie es nötig, sich ein derart plattes und primitives Alibi von Ihrer Mutter geben zu lassen?«, hatte er ihn direkt und ohne jede Vorwarnung gefragt. »Mitten in der Nacht will sie sich bei Ihnen Kopfschmerztabletten besorgt haben? Signor Simonetti, bei aller Liebe, aber wenn Sie schon versuchen, mir einen Bären aufzubinden, dann hätte ich Ihnen etwas Originelleres zugetraut.«
Romano fiel aus allen Wolken. Hatte sich seine Mutter also doch nicht entblödet, dem Kommissar dieses Märchen zu erzählen. Unaufgefordert und ungefragt wahrscheinlich, weil sie glaubte, dann überzeugender zu klingen. Und das alles, obwohl sie wusste, dass er es nicht wollte. Sie hatte einfach nicht begriffen, dass sie ihn dadurch erst richtig in Schwierigkeiten brachte.
»Was sagen Sie dazu?«, fragte Neri.
»Nichts«, erwiderte Romano und wollte den Raum verlassen, aber Neri hakte nach.
»Eine Frage hab ich noch, Signore, es geht ganz schnell.« Romano blieb stehen und sah ihn kühl und auffordernd an. »Hatte Ihre Frau einen Liebhaber?«
»Nicht dass ich wüsste«, sagte Romano, aber seine Stimme klang nur wenig überzeugend.
»Na gut«, meinte Neri lächelnd, »für heute lasse ich Sie
in Ruhe, aber wenn Sie nichts dagegen haben, melde ich mich morgen wieder bei Ihnen. Buonasera.«
»Wer hat sie umgebracht?«, fragte Elsa leise. »Was glaubst du?«
»Ich glaube gar nichts. Und ich habe nicht die geringste Vorstellung, noch nicht mal den Anflug einer Idee, wer so etwas tun könnte.«
Plötzlich fühlte er sich unendlich elend. In der Zimmerecke saß Edi auf dem Fußboden und knetete. Ab und zu grunzte er laut vor Vergnügen über sein Werk. Er formte gerade sein viertes Bett, in dem jemand schlief. Zwischen
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