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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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So allein? Wenn irgendetwas passiert? Hier kann Ihnen niemand helfen.«
    »Was soll denn passieren?« Sie lachte. »Ich habe Angst
vor Waldbrand. Ja, das schon. Wenn der Sommer wieder so heiß und trocken wird und Spaziergänger achtlos ihre Zigaretten wegwerfen. Davor hab ich Angst. Darum will ich dieses Haus auch so schnell wie möglich versichern. Aber sonst? Nein. Ich habe keine Angst. Im Gegenteil, ich glaube, dieses versteckte Haus ist der sicherste Platz der Welt. Ich bin lieber hier als in einer kleinen Wohnung in Rom, Palermo oder Neapel.«
    »Vielleicht haben Sie recht«, meinte er. »Aber ungewöhnlich ist das schon für eine Frau.«
    »Kann sein.« Sie trank ihr Glas mit einem Zug leer, stellte es auf den Tisch und stand auf. »Kommen Sie. Machen wir einen kleinen Rundgang. Also, das hier ist die Küche, wie man sieht. Ich habe nicht viel. Einen Herd, einen kleinen Ofen, ein wenig Geschirr. Schließlich bin ich nicht hier, um zu kochen. Und ich werde sicher auch keine Gäste zum Essen einladen. Und hier«, sie öffnete die Tür zum Nebenraum, »ist mein kleines Magazin. Ein bisschen Werkzeug, ein paar Lebensmittel, mehr nicht. Schließlich braucht man ein paar Vorräte, wenn es so weit ist bis zum nächsten Alimentari.«
    »Das stimmt.« Allmählich entspannte sich Marcello etwas.
    »Kommen Sie mit nach oben.« Sie ging die schmale gewundene Treppe voraus, und ihm wurde schwindlig von ihrem Duft, als er ihr folgte.
    Im Wohnzimmer mit zwei bequemen Sesseln, einem Bücherregal, einem winzigen Schreibtisch und einer Staffelei blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. »Das ist meine kleine Arbeitsstube. Hier habe ich meine Ruhe und die besten Ideen für meine Bilder.«

    Er betrachtete einen Moment das Bild, das auf der Staffelei stand. Es zeigte ein großes Kaninchen im Morgenrock, das einem kleinen Kaninchen im Schlafanzug vormacht, wie man sich die Zähne putzt.
    »Wie süß«, sagte er. »Und so realistisch.«
    Das meinte er ehrlich, denn er war von ihrer Fähigkeit zu malen wirklich beeindruckt. Die Frau faszinierte ihn. Und er wusste, dass er in den kommenden Abenden auf seiner Terrasse immer daran denken würde, wie sie hier saß und Kaninchen malte.
    »Und das ist mein Schlafzimmer«, sagte sie und öffnete die Tür. »Kommen Sie.«
    Sarah Simonetti gab zu diesem Raum keine Erklärungen mehr ab, sondern legte sich gleich aufs Bett. »Du hast es gewusst und bist trotzdem gekommen«, meinte sie lächelnd. »Das gefällt mir.«
    Marcello stand in der Tür und zögerte. Sein Gesicht stand in Flammen, seine Haut brannte, als habe er sie mit Chilipaste bestrichen, sein Herzschlag dröhnte in seinen Ohren, dass er kaum verstand, was sie sagte.
    »Komm her«, flüsterte sie. »Vergiss die Welt da draußen. Denk einfach mal eine Weile nicht an deine Familie, dein Haus und deinen Job. Hier ist alles anders. Diese kleine Hütte ist ein ganz eigener Kosmos und nichts von dem, was hier geschieht, wird jemals das normale Leben erreichen. Niemand weiß, dass du hier bist, und niemand wird es je erfahren. In den Orten und in den Städten gelten andere Spielregeln, hier gelten keine. Und wenn wir uns durch Zufall begegnen, wird nichts anders sein als früher. Du bist Signor Vannozzi und ich Signora Simonetti. Und wenn wir uns sehen, dann nur im Ufficio in Montevarchi, um eine
Versicherungspolice zu unterschreiben oder zu bezahlen. Verstehst du?«
    Marcello nickte langsam. Er glaubte ihr, und er spürte, dass er wirklich bereit war, alles zu vergessen, was sein Leben außerhalb dieses Hauses ausmachte. Sie hatte ihn beruhigt, sie hatte mit ein paar Worten seine Zweifel und seine Skrupel weggewischt. Das Blut, das sich bis zu diesem Moment in seinem Kopf gestaut hatte, floss durch seine Glieder und erfüllte ihn mit Wärme und Kraft. Der ehrenwerte Bürger, treue Ehemann und liebende Vater, der bisher noch nicht einmal in seinen Phantasien gewagt hatte, sich eine derartige Situation vorzustellen, war zu allem bereit. Er konnte es überhaupt nicht fassen, was mit ihm passierte, aber er vertraute ihr. Sein Mund füllte sich mit Speichelbächen, und er musste unentwegt schlucken.
    Schließlich atmete er tief durch und begann sich auszuziehen. Er wunderte sich wie leicht es ging. Sie beobachtete ihn, aber es machte ihm nichts mehr aus. In Gedanken wurde er beinah übermütig. Ich, Marcello Vannozzi, achtundvierzig Jahre alt, begebe mich gerade in das größte Abenteuer meines Lebens, von dem ich nicht weiß, wie es

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