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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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den Bettpfosten prangte eine dicke Kugel. Es war nicht zu erkennen, ob es das Kopfkissen oder einen Kopf darstellen sollte. So bewältigt er also den Tod seiner Mutter, dachte Romano, hoffentlich schafft er es. Den ganzen Nachmittag war Edi durch die Wiesen und Felder gestreift und hatte Blumen gepflückt. Er kam mit Bergen von Gras, Unkräutern, Wiesenblumen und abgerissenen Sträuchern zurück und murmelte »Grab«. Wahrscheinlich wollte er das ganze Gestrüpp auf den Sarg werfen, dachte Romano, meinetwegen soll er. Es war seine Mutter, die ihm jetzt fehlte. Soll er doch reagieren, wie er will. Noch vor wenigen Tagen hätte er eine derartige Situation unerträglich gefunden, jetzt war es ihm gleichgültig, was die Leute sagten oder dachten.
    Elsa stand auf. »In diesem Haus kriege ich heute Nacht kein Auge zu«, verkündete sie. »Ich fahre nach Siena. Wenn du mich brauchst, komme ich morgen Früh wieder.«
    »Ich brauche dich«, sagte Romano. Dann ging er zu ihr und nahm sie in den Arm. »Es kann nur ein Verrückter gewesen sein«, flüsterte er. »Einer, der zufällig vorbeigekommen ist. Ein Pilzsammler. Oder ein Jäger, der schon vor
dem Morgengrauen unterwegs war. Vielleicht ein Landstreicher oder Krimineller, der die Nacht im Wald verbracht hat. Oder einer, der aus irgendeiner Anstalt ausgebrochen ist. Es gibt viele Möglichkeiten. Sie saß an ihrem Schreibtisch oder sie malte. Ab und zu ist sie durchs Zimmer gegangen. Der Mann hat sie gesehen und ist ins Haus eingedrungen. Sie schloss ja nie ab, und als er vor ihr stand, ist sie vor Angst hysterisch geworden und hat geschrien, und da ist er durchgedreht und hat sie umgebracht. Sie hatte einfach Pech. War im falschen Moment am falschen Ort. Jedenfalls hat sie so ein Ende nicht verdient. So muss es gewesen sein, Elsa, etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Ja, wahrscheinlich hast du recht«, meinte Elsa und zum ersten Mal an diesem Tag lächelte sie. »Sie werden den Typ schon finden, da bin ich ganz sicher.«
    Sie hauchte Romano einen Kuss auf die Wange und ging.
    Romano legte neues Holz in den Kamin und starrte in die auflodernden Flammen.
    Sarah hatte es noch nie leicht gehabt. Irgendwie war in ihrem Leben immer alles schiefgegangen.

Berlin, 1987 – achtzehn Jahre vor Sarahs Tod
    20
    Anfang November rief Franky das erste Mal an. Die Nummer hatte er von Sarahs Mutter Regine bekommen. Er hatte ihr erzählt, er habe den Zettel mit Sarahs neuer Adresse und Telefonnummer verlegt, und Regine hatte ihm bereitwillig Adresse und Telefonnummer diktiert. »Es wäre so schön, wenn ihr wieder zusammenkommen würdet«, hatte sie gesagt. »Ihr wart ein so wunderbares Paar und habt so gut zusammengepasst. Ich verstehe überhaupt nicht, warum ihr euch getrennt habt«, meinte sie noch und seufzte vernehmlich.
    »Ich verstehe es auch nicht«, brummte Franky und legte auf.
    »Hallo, Süße«, sagte Franky, als sich Sarah am Telefon meldete. »Wir haben ja ewig nichts voneinander gehört. Wie geht es dir denn?«
    »Danke. Gut.« Sarah war auf der Hut. Der Anruf hatte sie völlig überrascht, und sie ahnte nichts Gutes. Ohne Grund rief Franky nicht an.
    »Ich wollte dich zum Essen einladen. Wann hast du Zeit?«
    »Franky, was soll das?«
    »Ich will mit dir reden.«
    »Aber ich nicht mit dir.«

    »Wie wär’s morgen Abend? Um acht? Ich hol dich ab.«
    »Nein, Franky, nein.« Sie legte auf.
    Der nächste Anruf kam um kurz vor fünf aus einer Telefonzelle nur wenige Schritte von Sarahs Wohnung entfernt. »Komm runter«, sagte Franky zu Sarah. »Ich steh vor deinem Haus und warte auf dich. Komm runter und rede mit mir. Dann lass ich dich in Ruhe.«
    »Nein«, antwortete Sarah. »Meinetwegen kannst du dir da draußen die Beine in den Bauch stehen. Es gibt nichts, worüber wir beide noch reden müssten.«
    Franky rief in den nächsten zwei Stunden noch viermal an, Sarah legte jedes Mal auf, ohne mit ihm zu sprechen.
    Sarah telefonierte mit Romano in der Pizzeria und erzählte von Franky. »Jetzt der Terror fängt an«, sagte Romano. »Porcamiseria, ich komme schnell wie ich kann. Keine Sorge. Wenn schlimmer wird oder wenn er versucht, zu kommen in die Wohnung, ruf Polizei.«
    Franky stolzierte auf der Straße auf und ab. Sarah stand hinter der Gardine, zitterte und hoffte, dass Romano dem Spuk ein Ende machen würde. Aber als Romano kam, war Franky verschwunden.
    Wenige Tage später kam ein Brief:
    Sarah, Liebste, Sonne meines Lebens, die an dem Tag für mich

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