Hexenkind
Kinder. Und da gibt es manchmal Situationen, die nicht ganz einfach sind.«
Regine lächelte zuckersüß. »Aber kann es vielleicht auch sein, dass hier alle ein bisschen überempfindlich sind?«
Romano antwortete nicht, aber er verstand plötzlich die Probleme, die Sarah hin und wieder mit ihrer Mutter hatte.
Den restlichen Abend verbrachten Romano, Herbert und Enzo Grappa trinkend vor dem Kamin, Regine half Teresa in der Küche. Beide Frauen waren in ihrem Element, und obwohl die eine nicht Deutsch und die andere nicht Italienisch konnte, verstanden sie sich glänzend.
»Wir hätten schon viel eher einmal hierherfahren sollen«, sagte Regine abends im Bett zu Herbert. »Teresa ist
einfach entzückend. Nach dem, was Sarah so am Telefon erzählt hat, hab ich immer gedacht, sie ist ein alter Besen.«
»Du weißt nicht, was sie hier über dich erzählt«, meinte Herbert, und Regine überhörte die Bemerkung.
»Und unsere arme Sarah«, plapperte Regine weiter, während sie sich ihre Füße eincremte, »was für ein Schicksal mit diesem behinderten Kind. Aber ich finde sie äußerst tapfer. Sie meistert das fabelhaft. Kein Wunder, dass sie ab und zu Kopfschmerzen bekommt.«
»Ach du lieber Himmel!« Herbert lachte laut auf. »Ein behindertes Kind!«, imitierte er Regines Ton, »was für eine niedliche Untertreibung! Ich werde dir mal sagen, was dieser Edi ist: Ein widerliches, sabberndes Monster, dem das Essen aus der Schnauze fällt. Ein Fleischklops, der nicht bis drei zählen kann, der dämlich grinsend durch die Welt stolpert und alles platt macht, was sich ihm in den Weg stellt. Mit seiner unendlichen Blödheit terrorisiert er die ganze Familie. Dieser liebe Edi ist kein behindertes Kind, Regine, sondern ein Albtraum. Eine fette Zeitbombe, die man in eine Zwangsjacke stecken und in eine Gummizelle sperren sollte. Da kann er dann Kinderlieder singen und seine Finger zählen, aber er kann nicht mehr seine Umgebung verrückt und meine Tochter krank machen.«
Nach diesem emotionalen Ausbruch schwieg Herbert erschöpft, und auch Regine sagte eine Weile – völlig pikiert – kein Wort.
Schließlich legte sie sich ins Bett und löschte das Licht. »Mein Gott, Herbert«, sagte sie leise, »so kenne ich dich ja gar nicht. So habe ich dich ja noch nie reden hören.«
Dann versuchte sie, nicht mehr an das zu denken, was Herbert gesagt hatte, sondern sich auf die morgige Hochzeit
zu freuen. Sie konzentrierte sich auf eine strahlende Braut in einem weißen Brautkleid, um so kurz vor der Trauung vielleicht noch etwas Angenehmes zu träumen.
Sarah erwachte mitten in der Nacht. Im Haus war es still. Totale Dunkelheit umgab sie, und sie hatte Schwierigkeiten sich zu orientieren. Aber sie fühlte sich leicht. Der Schmerz war weg. Nur doch ein dumpfer Druck war übrig geblieben. Es war die Nacht vor ihrer Hochzeit, und morgen würde sie Romano heiraten. Gott hatte sie leben lassen.
Sie stand auf, machte Licht und schlich ins Badezimmer. Direkt aus dem Hahn trank sie so hastig, dass ihr beinah schon wieder schlecht wurde. Dann kühlte sie ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Als sie sich aufrichtete, um sich abzutrocknen, sah sie im Spiegel, dass er hinter ihr stand.
Obwohl es Romano war, erschrak sie derart, dass sie sich am Waschbecken festhalten musste, um nicht umzufallen.
»Wovor hast du Angst?«, fragte er sanft und nahm sie in den Arm.
Statt einer Antwort schüttelte sie nur den Kopf und ließ sich schwer gegen seine Brust sinken.
»Geht es dir besser, mein Engel?«
»Ja«, hauchte sie. »Viel besser.«
Sie folgte ihm ins Schlafzimmer und schlief an seinen Rücken geschmiegt, bis um sieben Uhr der Wecker klingelte.
46
»Ich hab’s dir doch gesagt«, meine Teresa triumphierend, als Romano sich am Morgen aus der Küche einen Kaffee holte. »Die eigene Hochzeit lässt man nicht platzen. Das wäre ja noch schöner.«
Elsa begleitete Edi beim Blumenpflücken und hämmerte ihm den einen Satz ein, den sie schon seit Tagen mit ihm übte: »Heute wünsche ich euch beiden – immer soll die Sonne scheinen.«
»Immer Sonne scheinen – und nicht weinen«, sang Edi vor sich hin.
»Fast«, meinte Elsa, »du hast es fast, Edilein. Das hört sich auch schon ganz gut an, aber der andere Satz ist schöner. Komm, wir sagen es noch einmal zusammen.« Sie nahm ihn an der Hand und hob sie im Takt des Satzes auf und ab: »Heute wünsche ich euch beiden – immer soll die Sonne scheinen.«
»Alles fein – Sonnenschein«,
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