Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
nach ihrer Abreise zurückgekehrt, völlig verstockt. Er bringe auch bis heute kaum ein Wort heraus und soll sich im Werk ebenso mürrisch benehmen wie in der Familie, jedoch ohne Wutausbrüche. Was er ausbrüte, könne sie nicht ermessen. Auch seine Reaktion auf ihren, Lucias, Ein-Satz-Brief kenne sie leider nicht, da er den Brief in ihrer Abwesenheit gelesen habe. Sollte sich etwas Neues ereignen, versprach sie, werde sie es ihr umgehend schreiben. Dann fragte sie an, ob sie nicht doch schon an Weihnachten kommen könne, sie und Justus würden sich das sehr wünschen. Aber so oder so, auch wenn ihr ein Besuch erst zu Ostern möglich wäre, würden sie sich auf ihr Wiedersehen freuen.
Ich ebenfalls, sagte Lucia ihr gedanklich, ich freue mich auf unser Wiedersehen mindestens so sehr wie ihr.
Dann ließ sie die Hand mit dem Briefbogen sinken und sann über ihren Vater nach. Aus seinem Benehmen war nicht zu schließen, ob ihm sein Advokat noch immer falsche Hoffnungen in den Kopf setzte. Doch sie vermutete eher, Ihr Vater versuche jetzt, sich mit seiner Situation abzufinden, denn so töricht war er nicht, um nicht zu erkennen, dass er keinerlei Handhabe mehr gegen sie hatte. Außerdem war der Brief ihrer Mutter dem Datum nach vor drei Wochen verfasst worden, weshalb sich bei ihm inzwischen womöglich wieder Vernunft durchgesetzt habe. Nun musste Lucia den Brief vernichten, er durfte niemanden in die Finger geraten, alleine schon, weil ihre Mutter sie darin mit Lucia angesprochen hatte.
Sie steckte ihn in die Kitteltasche, ging in den Laborraum, las ihn dort nochmal durch und warf ihn dann in den Ofen. Draußen stand derweil auf dem oberen Treppenabsatz Carlo, klopfte jetzt an eine Butzenscheibe der Terrassentür und winkte Lucia zu. Sie winkte zurück, nahm dann die Kohlenschütte in die Hände und fütterte das Feuer, so, als sei sie nur aus diesem Grund hierher gekommen. Anschließend sah sie zu den emsig arbeitenden Männern hinaus, doch da sie keiner zur Kenntnis nahm, ging sie zurück ins Malatelier. Dort angelangt, wollte sie für den Nachmittag Bernardinos Malplatz herrichten, doch plötzlich fiel ihr ein, dass sie ja noch Alphonses Brief in der Tasche hatte, weshalb sie sich wieder auf das Fenstersims niederließ und zu lesen begann.
Bereits der erste Satz ließ sie aufmerken - was kündete Alphonse ihr da an? Claire und er werden zum Herbstbeginn, am ersten Scheidingtag, heiraten - das war gestern! Ihr fiel die Hand mit dem Brief hinab in den Schoss, Alphonse hatte geheiratet! Aber weshalb teilte er ihr das erst jetzt mit? Ein wenig gekränkt darüber, nahm sie den Brief wieder hoch und las weiter. Sicher könne sie sich denken, schrieb er, weshalb sie den Hochzeitstermin vorverlegt hätten, Claire sei guter Hoffnung, worüber sie beide überglücklich seien. Doch dieser Umstand verbiete natürlich eine aufwendige Hochzeit, sie würden sich in aller Stille in der Schlosskapelle trauen lassen und sich anschließend direkt auf Hochzeitsreise begeben. Alle anderen Verwandten und Freunde würden erst nach ihrer Eheschließung von Claires und seinen Eltern darüber benachrichtigt werden.
Deshalb erst heute die Benachrichtigung, verstand Lucia nun. Claire und Alphonse hatten, wie unter diesen Umständen üblich, die stille Hochzeit begangen, und Lucia hatte eben fast vergessen, seinen Brief zu lesen. Sie konnte nicht sagen, was sie mehr bewegte, seine Heirat oder sein bevorstehendes Vaterglück. Lieb von ihm, ihr das persönlich mitzuteilen.
In ihrer Freude lief sie hinaus zu Leonardo. Er stand neben der Treppe zwischen den Männern und erteilte ihnen mit Zurufen und Handbewegungen Anweisungen. Ein ungünstiger Moment, ihn jetzt anzusprechen. - Sie tat es dennoch: "Leonardo!"
"Oh, Lukas, was ist?"
"Hast du einen Moment Zeit?"
"Gleich."
Leonardo erklärte den Männern noch dies und jenes, ehe er zu ihr trat und sie sofort begann: "Alfonso hat mir geschrieben, und stell dir vor, er hat . ." , sie reichte ihm den Brief hin, "da, lies es selbst."
Während Leonardo den Brief las, entspannten sich seine bis eben noch so angestrengten Züge.
"Lukas", rief er dann aus, "ist das ein Ereignis!"
"Das musste ich dich unbedingt wissen lassen. Glaubst du, wir sollen das auch den anderen mitteilen? Er lässt doch alle grüßen."
"Besser noch nicht, Lukas, es war doch eine stille Hochzeit. Aber was hältst du davon, wenn wir zwei heute Abend darauf anstoßen? Hättest du Zeit dafür?"
Nichts lieber als das, hätte sie am liebsten
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