Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
erwarte ich ebenfalls."
Dazu brummte er nur etwas Unverständliches zu ihr herab und setzte seinen Gang zum Aufenthaltsraum fort, weshalb sie ihm nachrief: "Dich will ich auch dort sehen, denn diese Änderungen wirken sich großenteils auf die Produktion aus."
Er verhielt nicht mal seinen Schritt.
Ausgiebig auf ihren Auftritt präpariert, erwartete Lucia in der leicht beheizten Lagerhalle hinter dem hohen Eingangstor alle dreiundneunzig bestellten Betriebsangehörige. Auf dem Steinboden entdeckte sie eine stabile, gut ein Fuß hohe Holzkiste. "Für Euch, Fräulein", sagte ihr Herr Adam, der Lagerleiter, reichte ihr die Hand und half ihr auf das provisorische Podest.
Unterdessen bauten sich die Anwesenden im Halbbogen vor Lucia auf, sie blickte sich um - Meister Rodder fehlte. Deine Sache, dachte sie, räusperte sich nervös und begann. Zunächst wünschte sie einen guten Morgen und fragte dann die Abteilungsleiter, ob sie ihre Leute über ihr gestriges Gespräch instruiert hätten. Ja, sie hatten sie noch gestern davon unterrichtet und anschließend noch lange mit ihnen darüber debattiert.
"Freut mich", gab Lucia zurück. "Dann werde ich Euch umgehend Eure neue Vorgehensweise darlegen. Beginnend mit der Abfüllerei und der Beschriftung."
Die frisch gefüllten Gefäße werden von heute an zweimal täglich - der erste Schub mittags und der zweite rechtzeitig vor Feierabend - in die Etikettierung befördert, gab sie ihnen bekannt, wo ihnen sofort beim Empfang ein ablösbarer Zettel mit Tagesdatum aufgeklebt wird. Und in keiner dieser beiden Abteilungen dürften fortan gefüllte Gefäße länger als einen Tag lagern, worauf die Abteilungsleiter ein erhöhtes Augenmerk haben mögen. Sodann wies sie Herrn Adam an, alle Anstreich- und Temperafarben sowie die verschiedenen Leime, die älter als ein halbes Jahr seien, aussortieren und in die Müllgrube schütten zu lassen. Das gleiche gelte für die Lack- Öl- und Textilfarben, die älter als ein Jahr seien. Nach dieser Aktion müssten weiterhin zu jedem Mondende alle überalterten Produkte aussortiert und vernichtet werden, bis sich im Lager nur noch einwandfreie Ware befinde.
Darauf verbreitete sich unter den Zuhörern Unmut, weshalb Lucia ihnen erklärte: "Ich verstehe Eure Aufregung darüber, da ich selbst mit Entsetzen festgestellt habe, welche Mengen davon betroffen sind. Aber lieber diesen Verlust hinnehmen, als bei den Kunden unseren bislang guten Ruf einzubüßen, denn das wäre der Ruin unseres Werkes."
Anschließend sprach sie die dreiundzwanzig Verkäufer an: "Um aber künftig die Müllgrube nicht allzu sehr mit unseren schönen Farben zu verwöhnen, verschenken wir einen Teil unseres überfüllten Lagers vom nächsten, unserem Jubiläumsjahr an, lieber an die Kunden. Natürlich nur Produkte, deren Verfallszeit noch nicht erreicht ist, aber in einigen Wochen sein wird. Sowie Frau Häuting die Graphiker die Jubiläumsetiketten fertig gestellt haben, womit etwa Mitte Hartung zu rechnen ist, werdet Ihr jedem Kunden, die ja meist Großabnehmer sind, zusätzliche Farb- und Leimgefäße mitgeben, die Ihr mit jenen Etiketten verseht. Diese Extragaben sollen stets etwa den zehnten Teil der erworbenen Waren ausmachen. Die Geschenke stellen für uns keinen Verlust dar, und die Kunden stimmen wir uns mit dieser Aktion gewogen."
Darauf ertönten Zustimmungsrufe, erst vereinzelte, dann immer mehr, die Leute erkannten in all diesen Neuerungen gute Aussichten für das Werk. Und als Lucia ihnen noch mitteilte, sie werde ihren Vater veranlassen, die Produktion wieder auf ein Normalmaß zu reduzieren, machte die bisherige Besorgnis in ihren Gesichtern einem hoffnungsvollen Lächeln Platz, weshalb Lucia nur noch blieb, sich zurückzuziehen.
Um sich auf die nächste Aktion vorzubereiten, redete sich Lucia in ihrem Kontor Ruhe und Mut zu: Ganz ruhig, sei ganz ruhig. Du hast ein wohldurchdachtes Programm, einiges davon hast du bereits erledigt, hast dabei soeben eine erfreuliche Resonanz ausgelöst, und ähnlich wird sich das auch fortsetzen. Sie atmete mehrmals tief durch, und danach fühlte sie sich gestärkt. Das war auch notwendig, denn ihr nächster Weg wird sie zu Meister Rodder führen. Was sie sich für die Produktion vorgenommen hatte, wird sie ihm erst nach Weihnachten mitteilen, um ihm die Festtage nicht zu verderben, doch sie konnte ihm nicht kommentarlos durchgehen lassen, dass er vorhin der Versammlung ferngeblieben war, sie muss ihm verdeutlichen, dass auch er in
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