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Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)

Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roswitha Hedrun
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und auf den Ästen des bis fast zur Decke reichenden Tannenbaums.
Dann ihre gegenseitigen Geschenke. Wie jedes Jahr waren an einer der Wände mit weißen Tüchern gedeckte Tische aneinander gereiht, auf denen jeder Erwachsene seinen kleinen Platz hatte, wo seine Gaben verteilt waren, von denen niemand wusste, wer sie ihm hingelegt hatte. Keine teuren Präsente, vielmehr nette Aufmerksamkeiten, die das Herz erfreuten. Mindestens so sehr wie die Erwachsenen freuten sich die Kinder über ihre weitaus größeren Geschenke, die rings um den Baum auf dem Boden ausgebreitet waren. In deren Nähe standen, wie seit jeher, Meister Rodder und sein Bruder Andreas, um darauf zu achten, dass die Kerzenflammen keinen Schaden anrichten. In dieser Rolle hatte Lucia ihr Vater seit jeher gefallen, jetzt strahlte er Schutz auf alle aus.
Außer den Gästen feierte traditionell auch das auf dem Anwesen wohnende Gesinde den Heiligen Abend bei ihren Herrschaften, und als Abschluss spazierten stets alle gemeinsam mit Fackeln den Hügel hinab zur Christmette in die St. Nikolauskirche.
Noch fröhlicher als Heiligabend verliefen die beiden kommenden Feiertage - Weihnachten, das Fest der Freude und Liebe. Lucia erlebte es diesmal bewusster als je zuvor.
Meister Rodder hatte Lucias hervorgehobenen Sitzplatz an der Tafel und mindestens so sehr ihr Auftreten im Werk zunehmend verunsichert. Was er zu kaschieren versuchte, indem er nun hin und wieder ein paar Worte an sie richtete, vorwiegend bei Tisch. Die jedoch gingen nie über "reich mal her", "Entschuldigung" oder "danke, das genügt" hinaus. Einerseits beeindruckte ihn Lucias Können wie auch ihr resolutes Vorgehen im Werk, andererseits widerstrebte es ihm, sich ihr, einer Frau und noch dazu seiner Tochter, zu unterwerfen. Lucia behagte diese auf den Kopf gestellte Situation ebenso wenig. Wie von Natur gegeben, würde auch sie sich lieber ihrem Vater unterordnen, sich von ihm führen und beschützen lassen. Jahrelang hatte sie sich danach gesehnt, und ebenso lang hatte er sie diesbezüglich enttäuscht. Die Folge, jetzt mussten beide lernen, unter umgekehrten Voraussetzungen miteinander zurechtzukommen.
Madame Rodder war indes nichts als glückliche Gastgeberin. Endlich hatte sie wieder mehrere Verwandte um sich, die sie unentwegt verwöhnte. Wie eine Fee schwebte sie im Festssaal von diesem zu jenem, um sich zu überzeugen, dass es niemandem an etwas ermangle, man hörte immer wieder ihr helles Lachen, sie spielte auch mal kurz mit den Kindern und fand zwischendurch noch Zeit, Lucia kleine Gastgeberpflichten zu übertragen, wodurch sich Lucia auf diesem Gebiet schon ein wenig Sicherheit erwarb.
Bei einer dieser Gelegenheiten fragte Madame Rodder ihre Tochter, ob sie tatsächlich nicht unter Halsschmerzen leide. Nein, beteuerte ihr Lucia, nicht die Spur, ihre Stimme sei plötzlich immer dunkler und rauer geworden, ohne jegliche Beschwerden dabei.
"Rauchig", verbesserte ihre Mutter sie lächelnd, "sie klingt rauchig, was sich interessant anhört. Vielen gefällt das an Frauen. Wahrscheinlich hast du das dem südfranzösischen Meeresklima zu verdanken."
"Ja, vielleicht."
Während dieses kurzen Gesprächs war Lucia umgeben von Justus und ihrer elfjährigen, kunstbegeisterten Cousine Stella, und als Madame Rodder wieder entschwand, bestätigte ihr Stella: "Deine neue Stimme klingt wirklich interessant, Lucia, zwar ein bisschen männlich, aber gerade das macht sie so reizvoll."
Kann mir nur recht sein, freute sich Lucia und fing einen neidvollen Blick von Justus auf, der seine Stimme gerne gegen die ihre getauscht hätte.

    So waren die Weihnachtstage viel zu rasch dahingegangen. Wenn Lucia daran dachte, ihre Mutter, die unter ihren Verwandten so glücklich war, bald bitten zu müssen, vorläufig solch teure Veranstaltungen zurückzustellen, zweifelte sie, ob sie ihr das antun soll, zumal sie beobachtet hatte, mit welch verliebtem Blick ihr Gatte ihr mitunter nachgeschaut hatte. Doch bevor Lucia sie, wenn überhaupt, darauf ansprechen will, hat sie für das Werk noch mehrere Pflichten zu erfüllen.
Als erstes und zugleich Schwerstes muss sie die Fabrikation aufsuchen, in der sie sich für heute Morgen angekündigt hatte. Eingedenk der Tatsache, wie viel von ihrem dortigen Auftreten abhängt, hatte sie sich sorgfältig darauf vorbereitet.
Meister Rodder hatte sich mit seinen achtundfünfzig Farbherstellern und -laboranten, den zwei Lehrbuben und fünf Gehilfen bereits im vorderen Abschnitt seiner

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