Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Fabrikation aufgestellt, als Lucia das Gebäude betrat. Nach Lucias Guten-Morgen-Gruß stellte sich Meister Rodder ihr breitbeinig und mit in die Seiten gestemmten Armen entgegen - damit du mir ja keine Anordnungen triffst, die gegen mein hiesiges Regiment verstoßen! Dieser Drohgebärde begegnete Lucia heute auf weibliche Weise, indem sie erst ihn freundlich anlächelte und anschließend alle anderen. Das entzog seiner Angriffshaltung bereits ein wenig Schärfe. Danach schob sie sich in aller Ruhe die Kapuze vom Kopf, öffnete ihre Pelzschaube und erst dann begann sie ihre Ansprache.
Dabei war sie darauf bedacht, ihren Vater vor seinen Leuten nicht bloßzustellen, andererseits jedoch deutlich genug herauszukehren, welche fatalen wirtschaftlichen Folgen eine Disharmonie zwischen Produktion und Verkauf auslösen können. Mit ebenso einfachen wie einleuchtenden Worten legte sie ihnen die Konsequenzen einer zu hohen oder einer zu niedrigen Produktion dar. Mehrere der hier Versammelten erkannten, worauf sie hinaus wollte und bedachten ihren Meister mit vorwurfsvollen Blicken, er jedoch blickte mürrisch unter sich, darauf wartend, dass Lucia endlich zur Sache komme. Das tat sie bereits mit dem nächsten Satz, sie wies darauf hin, dass in diesem Gebäude seit ihrer Abwesenheit im steigenden Maß mehr produziert als verkauft worden sei. Darauf sah Meister Rodder zusammenzuckend auf, machte einen Schritt auf Lucia zu, sie aber begegnete ihm, ganz Frau, mit sanftem Ton: "Dein und deiner Leute Eifer verdient meine Anerkennung, Vater. Doch leider hat sich herausgestellt, dass hier des Guten zu viel geleistet worden ist, in der Lagerhalle stapeln sich bereits Waren, die nicht mehr verkäuflich sind."
"Das kann net sein", behauptete er, worauf sie behutsam antwortete:
"Leider doch. Ich habe es auch nicht wahrhaben wollen, aber dort lagern Farben und Leime, die in ihren Gefäßen bereits eingetrocknet sind."
"Das will ich selber sehn", polterte er, setzte sich in Bewegung, und als er an Lucia vorbei zum Ausgang trapste, sprach sie schneller und in lauterem Ton weiter:
"Deshalb werdet Ihr verstehen, dass ich Euch um etwas bitten muss, das ich selbst aufs äußerste bedaure." Sie legte eine Pause ein, weil ihr Vater im Türrahmen stehen geblieben war und fuhr dann zögernd fort: "Nicht nur ich, sondern fast jeder unserer Kontoristen wissen keinen anderen Rat, als - ja, als die Produktion vorübergehend einstellen zu lassen."
Darauf flogen aller Augen ängstlich zu ihrem Meister, plötzlich herrschte angespannte Stille, und da Lucia hörte, dass ihr Vater zu ihr trat, senkte sie bedauernd ihre Lider. Er setzte aufgebracht zum Widerspruch an, als er seine Tochter jedoch so hilflos dastehen sah, hufte er zurück. Erst einen Augenblick später brachte er, zwar heftig, nicht aber aggressiv, hervor: "Das muss man anders lösen. Unsre Geräte dürfen net stillstehn, net einen Tag."
Dagegen wollten sich einige auflehnen, Lucia aber bremste sie mit einer verneinenden Geste und fragte dann ihren Vater mit ratlosem Ausdruck: "Hast du eine bessere Lösung?"
"Ja. - Das heißt nein, jetzt so auf Anhieb . .", stotterte er, blickte unsicher zum Ausgang, dann unter sich, dann schritt er, Hände in den Taschen und mit erhobenem Haupt, auf und ab, und als Lucia erkannte, dass er sich aus der Enge, in die sie ihn getrieben hatte, nicht mehr befreien konnte, wandte sie sich an die Belegschaft:
"Mein Vater ist über das Finanzdefizit unseres Betriebes schon länger ebenso besorgt wie ich und erkennt jetzt auch die Ursachen. Deshalb obliegt die Entscheidung ihm, ob er die Produktion bis mindestens Silvester einstellen lässt oder nicht. Wobei Euch selbstverständlich die vollen Löhne weitergezahlt werden." Dann fügte sie, speziell für Meister Rodders Ohren, noch hinzu: "Aber Ihr seid nicht die Alleinbetroffenen, auch die Einkäufer sind vorübergehend ohne Beschäftigung, sie werden den ganzen Winter über keine Einkaufsfahrten mehr unternehmen, da die Lagerhalle keine neuen Waren mehr aufnehmen kann. - Und mich entschuldigt jetzt bitte." Sie wandte sich zum Gehen, und als sie dabei ihres Vaters fragender Blick traf, sagte sie ihm für alle vernehmlich: "Ich weiß, dass du das Richtige tun wirst," nickte ihm zu und verließ das Gebäude.
Damit hatte Lucia ihm alle Freiheiten eingeräumt, seine Autorität nicht untergraben und ihm gleichzeitig alle Verantwortung aufgebürdet. Nein, die Verantwortung trug natürlich nach wie vor sie, nur musste er in
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