Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
niederträchtigen Wortbruch hab ich noch net verdaut, weil damit noch viel mehr verbunden war, was ich dir aber net sagen kann. Und auch damals bei dieser Testamentsänderung hab ich meinen Mund darüber gehalten", er öffnete die Tür, "weil nämlich ich meine Versprechen halt."
Er verließ den Raum, und Lucia klopfte das Herz bis zum Hals. Niemals hätte sie gedacht, dass sich ihr Vater in dieser Angelegenheit vor ihr rechtfertigen würde. Auch noch hier in diesem Kontor, wozu er sich eigens einen feinen Anzug angelegt hatte.
Dass er sich betrogen fühlte, hatte er bereits mehrmals angedeutet, doch nun hatte Lucia erfahren, dass ihn nicht allein der Verlust des Werkes so aufgebracht hatte, sondern ebenso sehr der Wortbruch seines verstorbenen Schwiegervaters, verbunden mit einer Angelegenheit, über die ihr Vater schwieg. Lucia hatte lange genug mit ihrem Großvater zusammen in diesem Kontor gesessen, um zu wissen, wie gekonnt er dann und wann jemanden überlistet hatte, in diesem Fall hatte er ihres Vaters Verschwiegenheit dazu ausgenutzt. Ohne die genauen Hintergründe zu kennen, konnte sie natürlich kein objektives Bild gewinnen. Wollte sie momentan auch nicht, für sie zählte jetzt einzig, dass mit diesem kurzen Gespräch der leidige Erbstreit ein Ende gefunden hatte.
Dadurch ging ihr fortan die Arbeit bedeutend leichter von der Hand, sie war so beflügelt, dass sie andere damit ansteckte.
"Fräulein", sagte ihr Herr von Lasbeck, "Ihr verbreitet einen Sonnenschein, wie ich ihn hier noch nie erlebt habe."
Auch Meister Rodder war jetzt gelockerter, und als Lucia ihm vorschlug, doch das leere Labor zu nutzen, um darin, wie einstmals mit seinem Schwiegervater, wieder Forschungen zu betreiben, ging er erfreut darauf ein: "Ja, und Justus wird da mitmachen, der Bengel ist nämlich begabt. Noch drei, vier Tage, dann haben wir alle Gefäße sauber, und dann geht's los. Am besten, die andern Laboranten beteiligen sich daran."
"Sehr gut, Vater. Und die Hersteller sollen währenddessen den Graphikern zur Hand gehen, mit Schablonen und Stempeln können sie bestimmt umgehen, denn dort müssen noch etliche Jubiläumsetiketten angefertigt werden. Wirst du das organisieren?"
"Selbstverständlich."
Die zweite Hälfte des Julmonds war bereits angebrochen, als Madame Rodder und Lucia abends in Lucias Guter Stube am flackernden und knisternden Kaminfeuer saßen, jeder einen irdenen Becher Holundertee mit einem Schuss Rotwein vor sich auf dem zierlichen Elfenbeintisch.
"Alphonse dürfte dieses Getränk nicht anrühren", lächelte Lucia, "glaubst du, er hält seine Abstinenz durch?"
"Das ist ihm dringend zu wünschen", seufzte ihre Mutter, "du weißt doch, seine Nieren!"
Und bei dir das Herz, dachte Lucia besorgt und lenkte das Gespräch auf das zu erwartende Baby. Sie rätselten, wann es wohl zur Welt kommen wird, was Lucia Kopfarbeit kostete, da ihre Mutter, wie alle Franzosen, bereits nach dem Kirchen- und Amtskalender rechnete und auch dessen Mond-, also Monatsbezeichnungen verwandte.
"Womöglich am 11. Februar, Alphonses Geburtstag", spekulierte Madame Rodder, was Lucia nicht glauben konnte:
"So früh doch noch nicht, sie haben erst am 23. September geheiratet."
Madame Rodder hingegen hielt es für möglich.
In diesem Zusammenhang erinnerte sich Lucia für einen Moment ihrer eigenen Kindheit, wie ihr Vater sie stets, wenn sie nachts Angstträume hatte, auf seinen Armen beruhigend durch die Stube getragen hatte. Seinerzeit war er ein wundervoller Vater gewesen. Sie fragte ihre Mutter, ob er damals auch ein liebevoller Gatte gewesen sei.
"Ah, oui", antwortete sie, erstaunt über diese Frage. "Er hat mich aus Liebe geheiratet, wenn es das ist, was du meinst, und nicht, weil ich aus einem vermögenden Haus stammte. Unsere ersten Ehejahre waren glücklich, bis dann seine Eifersucht durchgebrochen ist. Lucia, dein Vater war früher sehr fürsorglich, er hat uns beide und dann auch deine Geschwister verwöhnt, und er konnte so witzig sein. Halt alles in seiner etwas unbeholfenen Art."
"Ja, er ist oft tollpatschig wie ein Bär."
Darüber lachte sie hell auf, "wie ein Bär", wiederholte sie unter Lachen, "oui, wie ein Tollpatschbär. Aber gerade das hat mir gefallen an ihm."
Lucia bat sie, ihr mehr von früher zu erzählen, was sie auch gerne tat. Währenddessen legte Lucia neue Scheite ins Kaminfeuer und sprach ihre Mutter dann auf die Bellesigni an, sie wollte endlich erfahren, was es mit diesem Makel auf sich habe.
Das Gesicht
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